Die Braut des Satyrs
sprach der Mann kein Französisch mit ihm, wenn er doch begriffen haben musste, dass Lyon der Sprache mächtig war?
Ein Blutstropfen rann ihm in den Nacken und erinnerte Lyon unangenehm an seinen ramponierten Zustand. Sibela hatte ihm Nacken, Schultern und Hals zerkratzt, wo sich fühlbare Striemen von ihren Fingernägeln bildeten. Sein Hemd hing ihm halb offen und in Fetzen gerissen am Leib, und seine grasfleckige Hose war durchnässt.
Gewiss klopften andere Gäste hier weniger zerlumpt an.
Das menschliche Hindernis vor ihm trat einen Schritt zurück und versuchte nochmals, die Tür zu schließen, wovon ihn Lyons riesige Hand abhielt. Mit der anderen tauchte Lyon in seine Hosentasche und angelte einen Batzen toskanischer
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und
Soldi
heraus, die er dem Diener in die Weste stopfte, ohne nachzuschauen, wie viel er ihm gab. »Ich schätze, dies dürfte eine angemessene Einladung darstellen«, erklärte er. »Bei meiner Rückkehr in einer Stunde erwarte ich, eingelassen zu werden.«
Der Diener linste in seine Westentasche, nickte verdrossen und sagte auf Französisch: »Sofern Sie dem Anlass gemäß gekleidet sind, durchaus. Aber ohne Ihre Entourage.«
Lyon drehte sich verwundert um und stellte überrascht fest, dass hinter ihm eine kleine Gruppe von Damen stand, von denen ihn manche unverhohlen, andere etwas dezenter anstarrten. Hinter ihm klickte die Tür ins Schloss.
Er stieg die Treppe wieder hinunter und schritt die Straße entlang. Als er bemerkte, dass die Damen ihm folgten, seufzte er. Diese offene Bewunderung nahm allmählich enervierende Ausmaße an, ganz zu schweigen davon, dass er keine Zeit für derlei Unsinn hatte. Er sah furchtbar aus, und ihm blieb lediglich eine Stunde, um in sein Hotel zu gehen, sich frisch zu machen und wieder herzukommen.
»Ich bin nicht, was ihr wollt«, murmelte er der Gruppe zu, während er sie mit einem leichten Gedächtniszauber belegte und weitereilte, ohne sich umzuschauen.
Am Rande des Parks blickte er kurz zu dem Stadthaus zurück. Im obersten Stockwerk bewegte sich ein Vorhang. Jemand beobachtete ihn. War es die Frau von der Brücke? Gewöhnlich lagen in den Dachgeschossen die Bedienstetenzimmer. War sie eine Zofe oder eine Gouvernante?
War sie die Frau, die ihm unlängst den heftigsten Orgasmus seines Lebens beschert hatte?
Das würde er um neun Uhr heute Abend herausfinden.
[home]
3
I n ihrer einsamen Kammer oben unter dem Dach angekommen, schloss Juliette lautlos die Tür hinter sich. Sie mochte weder das Haus noch dieses kleine Zimmer, dessen einziges Fenster zur Straße wies. Im Dunkeln huschte sie an ebendieses Fenster und zog den Vorhang ein wenig auf, um hinunter zum Quai zu sehen.
Ein stummer Schrei entfuhr ihr. Dort war er! Der Mann, den sie von der Brücke aus gesehen hatte, stand auf dem Gehsteig und betrachtete das Haus. Nun, da er aufrecht stand, konnte sie sehen, dass er wirklich ein Riese war. Ein recht unordentlicher Riese, um genau zu sein.
Sein zerrissenes Hemd war schief geknöpft, feucht von Tau und Schweiß und umfing Schultern, die mindestens doppelt so breit wie ihre eigenen waren. Sein muskulöser Oberkörper konnte es mit jeder der Statuen mythischer Götter im Palais de Justice aufnehmen. Bei dem Gedanken an diesen Ort fröstelte sie.
Ihr stockte der Atem, als sie sah, wie er die Treppe hinauf verschwand, und hörte, dass ihm geöffnet wurde. Er war nicht zufällig hier, sondern musste sie auf der Brücke gesehen haben und ihr gefolgt sein. Warum? Was wollte er? War es pure Neugierde? Oder, schlimmer noch, könnte er einer ihrer Verfolger sein, den sie unabsichtlich hierhergeführt hatte?
Im Dämmerlicht tastete sie sich an der Wand entlang zu ihrem Waschtisch. Ihre Finger fanden das Fläschchen dort, und geübt schenkte sie sich etwas Wein in ein Glas, dem sie eine kleine Dosis der Tinktur hinzufügte. Sie hätte gern mehr genommen, aber sie bremste sich, denn heute Abend brauchte sie einen klaren Kopf. Sie stürzte die Mixtur in einem Schluck hinunter und kehrte ans Fenster zurück.
Eine Weile später erschien der Mann unten auf dem Gehweg. Die Dienerschaft hatte ihn abgewimmelt!
Sie schaute ihm nach, wie er den Quai überquerte und weiterging. Ihre Gefühle waren derart durcheinander, dass sie nicht entscheiden konnte, ob sie sich über sein Verschwinden freute oder nicht. Dann blieb er unerwartet am Eingang zum Park stehen und drehte sich zu ihrem Fenster um.
Erschrocken wich sie zurück, fiel halb gegen die Wand und
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