Die Braut des Satyrs
einen genaueren Blick zu erhaschen.
Von der geschützten Nische im ersten Stock aus beobachteten Valmont und sie den goldenen Riesen, der den Salon im Erdgeschoss betrat. Lediglich Gesprächsfetzen, Harfenmusik und glockenhelles Lachen drangen zu ihnen hinauf, so dass sie nicht hörten, wie er vorgestellt wurde. Zwei Dutzend andere Herren hatten sich bereits im Salon eingefunden, und ein weiteres Dutzend wurde noch erwartet.
Agnes, Gina, Fleur und die anderen Mädchen, allesamt aufreizend gekleidet und versiert in der Kunst des Kokettierens, des Schmeichelns und des Lustbereitens, unterhielten die Herren. Monsieur Valmont schickte sie stets als Erste hinunter, auf dass sie die Gäste einstimmten und ihre Vorfreude schürten, bevor Juliette auftrat. Sie waren die Hors-d’œuvres, wie er zu sagen pflegte, Juliette der Hauptgang.
In wenigen Momenten würde Juliette sich mit Valmont hinunterbegeben, wo sie unter seiner strengen Aufsicht Hof halten sollte. Vorerst aber besprachen sie die Gäste hier mit einer Unverblümtheit, die sich in offenerem Rahmen verbot.
»Ich hatte gehofft, dass er kommt, wagte jedoch nicht, ihn zu erwarten«, fuhr Valmont fort.
»Wer ist er?«, fragte Juliette, wobei sie sorgfältig darauf achtete, nicht anzudeuten, dass sie ihn wiedererkannte. Als Valmont nicht antwortete, sah sie ihn an und bemerkte, dass er vollkommen gebannt auf den neuen Gast starrte und sie gar nicht gehört hatte.
Unten blieb der Riese mitten im Salon stehen und betrachtete den Marmorbrunnen, in dem Absinth plätscherte. Valmont hatte ihn vor einem Jahr einbauen lassen, als sie in dieses Haus zogen, und er war eine der beliebtesten Attraktionen bei diesen Gesellschaften. Seit die Weinberge in ganz Europa von einer furchtbaren Ungezieferplage heimgesucht wurden, war Wein knapp geworden. Entsprechend stiegen die Preise, so dass sich das Interesse am weniger teuren Absinth als Ersatz mehrte.
Fleur begrüßte den neuen Gast und bot ihm eine Erfrischung an, worauf er sich der Weinkarte zuwandte. Obwohl sie erst sechzehn war und dem Haushalt noch nicht lange angehörte, hatte Valmont kürzlich beschlossen, sie in das Geschäft einzubeziehen, statt sie in der Küche arbeiten zu lassen. Was Juliette ganz und gar nicht behagte. Fleur hingegen war so verzückt ob ihrer neuen Kleider und ihres höheren Einkommens, dass sie sich mit erstaunlicher Leichtigkeit in die Existenz des Freudenmädchens fügte.
Der Mann lächelte Fleur freundlich an, als sie plaudernd sein Glas füllte. Schmunzelnd hakte sie sich bei ihm ein und umflirtete ihn in der ihr eigenen gewinnenden Art. Offenbar wollte sie sich diesen Herren sichern, bevor es eines der anderen Mädchen tat.
Im Profil wirkten seine Züge streng: das Kinn hart, die Brauen gerade, die Nase wohlgeformt. Zugleich sorgten seine sinnlichen Lippen und seine leicht geröteten Wangen wie auch sein zerzaustes Haar dafür, dass jeder Eindruck von Härte verschwand. Seine widerspenstigen Locken, die ihm bis zum Kinn reichten, schimmerten in allen erdenklichen Goldtönen.
Juliette wünschte, er würde sich in ihre Richtung drehen, damit sie sein Gesicht besser sah, doch leider tat er es nicht.
»Wer ist er?«, fragte sie nochmals.
Valmont zuckte zusammen. Er musste vergessen haben, dass sie neben ihm stand.
»Lord Lyon Satyr.« Er tippte die Fingerspitzen unter seinem Kinn zu einem stummen Applaus zusammen. Und seine Worte hatten beinahe einen beschwipsten Beiklang.
»Lyon.« Juliette blickte wieder durch die Scheibe und kostete die Textur und die Form des Namens auf der Zunge. Ja, er passte zu ihm.
Valmont schaute ebenfalls wieder hinunter. »Ist dir der Name geläufig?«
Er stellte sie auf die Probe. Der Grund, weshalb sie sich bei den donnerstäglichen Soirées zunächst hier einfanden, bestand darin, dass er ihr Informationen zu den Gästen gab. Valmont machte es sich zur Regel, alles über die Umstände und Vermögensverhältnisse der anwesenden Herren zu wissen. Und aus Beweggründen, die Juliette nicht kannte, hatte er immer klare Anweisungen für sie bereit, mit wem sie flirten und welche Details sie demjenigen entlocken sollte. Die Art und Weise, wie sie zu den gewünschten Einzelheiten kam, blieb gewöhnlich ihr überlassen.
Juliette kräuselte die Stirn. »Ein Italiener selbigen Nachnamens war vor mehreren Monaten in Paris, nicht wahr? Ein Winzer aus der Toskana, wenn ich mich recht entsinne.«
Valmont nickte sichtlich zufrieden, dass sie sich erinnerte. »Ein kalter
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