Die Braut des Satyrs
einen erfreulichen Nebeneffekt: Arlette belauschte Juliette und Lyon nicht mehr.
Fleur schaute in ihre Richtung und zwinkerte ihr zu, was Juliette mit einem strengen Kopfschütteln beantwortete. Doch das Mädchen grinste nur und umfing Arlettes Kopf, als er sich zu ihr beugte. Juliette war fassungslos. Er wollte von ihrem Busen essen, als wäre sie eine Art menschliches …
»Horsd’œuvre?«
Erschrocken sah sie zu Lyon, der eine kleine Platte mit Canapés vom Sideboard genommen hatte und sie ihr hinhielt.
»Es ist nur fair, dass Sie Ihre eigenen Kreationen kosten«, neckte er sie.
Beschämt, weil sie erneut beim Zuschauen ertappt worden war, öffnete sie den Mund für das kleine Häppchen, das er ihr reichte, und kaute einige Male, ehe sie ihren Fehler bemerkte.
Sie schaute hinüber zu Valmont, der sie mit vorwurfsvoller Miene beäugte. Lyons Blick folgte ihrem, und stirnrunzelnd stellte er sich näher zu ihr, als wollte er sie vor dem Unmut des anderen Mannes schützen.
Ein verzweifelter Laut entwich ihr, den sie sofort mit einem Hüsteln überspielte. Lyon warf die Platte achtlos zwischen das Porzellan und Kristall auf dem Sideboard, so dass einige Sachen zu Boden fielen, aber Juliette war viel zu unglücklich, um sich darum zu scheren.
Eine große Männerhand legte sich auf ihren Rücken und wärmte sie selbst durch die Kleiderschichten. »Geht es Ihnen gut?«
»Ja«, hauchte sie, nahm sich eine Serviette und presste sie sich auf den Mund. Nachdem sie das Canapé hineingespuckt hatte, knüllte sie die Serviette zusammen und deponierte sie auf einem schmutzigen Teller.
Den Mädchen war untersagt, in Valmonts Gegenwart zu essen. Er fand den Anblick kauender Frauen höchst widerwärtig. Fleur und den anderen mochten ihre Fehltritte verziehen werden, aber sie zahlte ganz gewiss später für ihren Fauxpas, wenn Valmont in der Stimmung war, sie zu bestrafen.
»Er sieht Sie anders an als die anderen«, bemerkte Lyon. »In welcher Beziehung stehen Sie zu ihm?«
Juliette räusperte sich und wandte sich wieder Lyon zu, der nach wie vor zu Valmont blickte. Endlich hatte sie einen Anhaltspunkt.
»Er ist mein Vormund. Vielleicht haben Sie von ihm gehört? Sein Vater besaß ein Weingut in Burgund.«
Lyon drehte sich zu ihr. »Besaß?«
»Die Phylloxera zerstörte es vor drei Jahren.«
»Ja, natürlich. Die Valmonts. Sie besaßen über fünfhundert Morgen, wenn ich mich richtig erinnere.«
»
Oui.
Die ganze Familie war dort beschäftigt. Würde es noch existieren, wären wir jetzt von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang mit der Lese beschäftigt. Daher frage ich mich auch, woher Sie die Zeit für einen Aufenthalt in Paris nehmen. Fängt die Weinlese in der Toskana früher an als in Frankreich?«
Sichtlich verwundert über den Themenwechsel, schüttelte Lyon den Kopf. »Nein«, antwortete er langsam, »allerdings wird die Lese bis zu meiner Rückkehr beendet sein. Danach stehen andere Aufgaben an, die vor dem Winter erledigt werden müssen, wie Ihnen gewiss bekannt ist.«
»Ihr Weingut …«, begann sie und sah scheu zu ihm auf. »Wie kommt es, dass Sie trotz der Plage hervorragende Erträge erzielen?«
Eine längere Pause signalisierte ihr, dass er Verdacht schöpfte. Leider machte die Tinktur sie ungeschickt bei ihrer Befragung.
»Hat er Ihnen aufgetragen, mich das zu fragen?« Er deutete zu Valmont, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
Juliette öffnete und schloss ihren Fächer mit hastigen Handbewegungen. »Ist es denn ein Geheimnis? Ich würde meinen, dass uns alle naturgemäß interessiert, wie Sie es anstellen. Sie müssen nämlich wissen, dass der Grund, weshalb er nach Paris floh, der ist, dass die gesamten Ländereien seines Vaters durch die Plage ruiniert wurden. Die Familie hat alles verloren.«
»Der Vater …« Lyon überlegte.
»Sicher haben Sie gehört, dass er sich das Leben nahm und nichts als Schulden hinterließ. Dies hier«, sie wies auf den Salon, »ist alles, was vom Valmont-Vermögen übrig blieb. Die Weinberge, in denen seine Vorfahren jahrzehntelang arbeiteten, liegen nun brach. Dies ist das erste Jahr seit ewigen Zeiten, in dem buchstäblich in ganz Frankreich keine Weinlese stattfindet.«
Lyon nickte. »Dasselbe gilt für viele Weingüter in ganz Europa. Meine Familie investiert viel in Forschung und unterstützt die Betroffenen. Aber Sie können Ihrem Vormund sagen, dass unsere Weinberge nach wie vor nicht befallen sind. Und, nein, wir haben kein Gegenmittel gefunden. Sowie wir
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