Die Braut des Satyrs
ohne Vorwarnung.
Für einen Sekundenbruchteil war sie sprachlos, dann gestand sie schuldbewusst:
»Oui.«
Rasch lenkte sie ab, indem sie erstaunt die Augen weitete und sich gänzlich ahnungslos gab. »Sie waren auch dort? Es herrschte ein rechter Aufruhr, und ich fürchte, ich habe Sie in dem Gedränge gar nicht bemerkt. Dennoch bin ich, wie gesagt, erfreut, dass Sie heute Abend gekommen sind. Ich hoffe, unser Angebot entspricht Ihren Wünschen. Können wir Sie vielleicht mit Trüffeln in Versuchung führen?«
Sie legte sachte eine Hand auf seinen Ärmel und lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Büfett.
Gütiger! Sein Unterarm war so dick wie ihr Unterschenkel!
»Oder einem Canapé? Oder, falls Sie Süßes bevorzugen, einem Vanille-Stachelbeer-Törtchen? Alles wurde heute Vormittag mit Hilfe der Küchenbediensteten von mir selbst zubereitet.« Sie wies auf die Sideboards, die sich unter der Fülle an Erfrischungen beinahe durchbogen. »Ich gestehe, dass ich gern in der Küche experimentiere und nie im Vorwege weiß, ob ich ein Meisterwerk oder eine Katastrophe schaffe. Kosten Sie eine kleine Auswahl, und sagen Sie mir, wie erfolgreich ich war. Sie sind ein großer Herr, folglich stelle ich mir vor, dass Ihr Appetit entsprechend groß ist.«
Er bog die Mundwinkel nach oben.
Waren das Grübchen?
»Ich versichere Ihnen, er ist es!«, bestätigte er.
Zuerst blinzelte sie überrascht, dann begriff sie, dass er nicht ihre Gedanken gelesen hatte, sondern lediglich antwortete.
Feu d’enfer!
Sie hatte noch nie einen engelsgleicheren, teuflischeren Mann gesehen, und dieser Widerspruch war tödlich. Kein Wunder, dass die anderen Mädchen ihn so eifrig umschwärmt hatten! Agnes, die sehr viel schöner als sie war, warf ihr wiederholt zornige Blicke zu, weil Juliette ihn für sich vereinnahmt hatte.
Juliette schalt sich im Geiste, zwang sich, den Blick von seinem betörenden Lächeln abzuwenden, und begab sich zu einer der Silberplatten, auf der sich lauter Köstlichkeiten um ein verziertes V-Monogramm reihten. Valmont hatte sie beordert, diesen Mann auszufragen, und je eher sie seiner Weisung nachkam, umso rascher könnte sie sich in ihre Kammer zurückziehen und ihn Agnes sowie den anderen mannstollen Weibern überlassen, die sich in solchen Fahrwassern weit heimischer fühlten als sie.
Sie hob die Silberplatte bei den Olivenholzgriffen an und ihm entgegen, wobei sie sie versehentlich zu nah vor ihren Oberkörper hielt, so dass ihre Brüste an dem äußeren Rand auflagen, als wären sie ebenfalls im Angebot. Unanständig weit ausgeschnitten, zählte ihr Kleid zu ihren wichtigsten Waffen, und während die Herren von ihrem Dekolleté gebannt waren, konnte sie blitzschnell einschätzen, wie sie deren Vertrauen gewann.
»Kosten Sie, Monsieur Satyr!«, forderte sie ihn auf und blickte mit halb gesenkten Lidern zu ihm auf.
Er nahm wahllos eine der Delikatessen auf der Platte, ohne die Augen von ihr abzuwenden, biss jedoch nicht hinein. Es verwirrte und erschütterte sie gleichermaßen. Fand er sie nicht anziehend? Doch, natürlich tat er das. Aus unerfindlichen Gründen taten es die Männer schon, solange sie sich erinnerte. Und warum sonst sollte er sie gesucht haben?
»Sie wissen, wer ich bin«, sagte er.
»Ihr Name wurde mir heute Abend von einem anderen Gentleman genannt«, erwiderte sie mit einem Lächeln, das den stets wachsamen Valmont zufriedenstellen dürfte.
Als Lyon in den Trüffel biss, trat ein überraschtes Interesse auf seine Züge, und er hielt das
Horsd’œuvre
ein Stück auf Abstand, um es genauer anzusehen. »Das haben Sie zubereitet?«
Juliette empfand eine tiefe Zufriedenheit. Einen Mann mit ihren kulinarischen Fertigkeiten zu erfreuen, rangierte für sie höher als körperliche Befriedigung – Brückenbegegnungen ausgenommen.
»
Oui.
Mit Hilfe des Küchenstabs, wie ich bereits erwähnte.« Sie beugte sich ein wenig zu ihm und ergänzte: »Die Geheimzutat ist eine Prise Chili. Würziges betont Süßes. Glücklicherweise entdeckte ich getrocknete Flocken letzte Woche in
Les Halles
. Und ich dachte mir: Warum sie nicht einmal an Trüffeln versuchen?«
Lyon nahm einen weiteren Trüffel auf, tunkte ihn in die Sauce und schloss genüsslich die Augen. »Köstlich!«, hauchte er.
Er gab sich keineswegs Mühe, sie mit einem Schwall überschwenglicher Komplimente zu überschütten, wie es andere Männer taten. Sie stellte die Platte wieder auf das Sideboard und richtete alle schon perfekt arrangierten
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