Die Braut des Silberfinders - historischer Roman
wissend, dass nun
auch Theodor vom Brunnen aus zu ihnen herüberstarrte. Ein ratloser Blick
reichte aus, um seine Frage zu formulieren.
»Nein, halt ein, mach es nicht noch
schlimmer!«, schrie Adara und umklammerte Robert, gerade so, als wolle sie ihn
festhalten, obwohl er keinerlei Anstalten machte, sich zu bewegen. Schließlich
gab sie ihm einen kräftigen Stoß in Leonhardts Richtung und endlich verstand
auch er. Er sah ihr ein letztes Mal in die Augen, ihr Blick verhieß Mitgefühl,
dann setzte er sich in Bewegung und die Schaulustigen zwischen ihm und den
Wachleuten wichen ängstlich zurück.
Das Durcheinander war perfekt.
Frauen schrien entsetzt auf und sprangen
zur Seite, und sogar die Männer zeigten keinen Eifer, sich dem tumb grunzenden
Koloss entgegenzustellen.
»Helft mir und haltet ihn auf, sonst gibt’s
ein Unglück!«, schrie Adara in den Gang hinein. Als daraus ein unschlüssig
erscheinender Wachmann ans Tageslicht trat, bestätigte sich, was Robert bereits
geahnt hatte – Osman war in Schwierigkeiten und er, Robert, musste es wieder
einmal richten.
»Schaff Verwirrung«, raunte ihm Adara zu,
und genau das hatte er nun vor. Er vergaß die blauen Flecken, die er von der
gestrigen Prügelei auf Theodors Hof zurückbehalten hatte und bereitete sich
darauf vor, das zu tun, was er am besten konnte – gegen eine schier erdrückende
Übermacht zu kämpfen.
Warum nur immer ich?, haderte Robert einmal
mehr mit seinem Schicksal.
*
Warum immer ich?, meinte auch Osman. Wieder einmal, wie erst
wenige Monate zuvor in Hildesheim, spürte er die Lanzenspitze eines
Stadtsoldaten auf seiner Brust.
»Also, was ist, Saulump, was hast du hier
verloren?«
Osman antwortete nicht,
was hätte er auch sagen sollen? Für Wortwechsel war noch genügend Zeit, später
auf der Wachstube. Resigniert hob er die Arme als Zeichen seiner Unterwerfung,
da brandete plötzlich Unruhe auf. Frauen schrien, Kinder weinten und Männer
fluchten, doch nicht nur das, zwischen all dem Gebrülle und Gezeter hörte er
auch noch eine ihm wohlbekannte Stimme, die grunzte und brummte ohne Sinn und
Verstand.
Robert spielte also
die Rolle weiter, die ihm in Theodors Heim aufgezwungen wurde. Ein guter
Gedanke in der jetzigen Situation. Wirkte er bereits beunruhigend einzig wegen
seiner kolossalen Gestalt, so vermochte er als dumpf dahergrunzender Hohlkopf
zweifellos Angst und Schrecken zu verbreiten.
Doch half es ihm selbst weiter?
Sein waffenstarrendes Gegenüber schien der
Krawall jedenfalls nicht zu kümmern. Und auch als eine Frauenstimme, eindeutig
Adaras, verzweifelt um Hilfe bat, ließ der Wächter nicht von ihm ab. Erst als
seine Kameraden ihn herbeiriefen, wurde er unschlüssig. Unsicher starrte er
durch die Pfeiler hindurch zum Marktplatz, was zum Teufel dort gerade vor sich
gehe. Der Ruf seines Leutnants schließlich trieb ihn nach draußen.
»Rühr dich nicht vom Platz, sonst ergeht’s
dir übel!«, befahl er und verschwand fürs Erste.
»Freilich bleib ich hier und warte auf
dich, du Dämlack«, flüsterte Osman wenig beeindruckt. Nun galt es, keine Zeit
mehr zu verschwenden. Rasch stand er am Pfeiler, der dem Pranger am nächsten
lag, zwar immer noch im Zwielicht des Ganges, aber dennoch in Leonhardts
Hörweite.
*
Leonhardt indes konnte sich keinen Reim auf Roberts eigentümliches
Verhalten machen. Warum zum Teufel gebärdete er sich plötzlich wie ein wild
gewordener Schafskopf? Selbst sein riesenhafter Freund, ob nun bei Verstand
oder nicht, würde gewiss scheitern, sollte er es tatsächlich mit sämtlichen
Wachsoldaten zugleich aufnehmen wollen. Ebenso unerklärlich war ihm Osmans
Verhalten. Warum seine rechte Hand auf dem Plan erschien, war ihm ein weiteres
Rätsel.
Gebannt und sich selbst einen verdammten
Narren scheltend, dass er dermaßen lautstark Osman beim Namen gerufen hatte,
verfolgte er die bedrohliche Szene mit dem Wachmann und atmete schließlich
erleichtert auf, als der Soldat sich davonmachte.
Doch was sollte folgen? Sein Freund konnte
unmöglich versuchen, ihn vor aller Augen vom Pranger zu befreien …
Kaum war der Wachmann verschwunden, sprang
der Alexandriner nach vorn, heraus aus der schützenden Finsternis des Ganges.
Nun war er nur noch zwei, drei Schritte vom Pranger entfernt und drückte sich
fest an die der Sonne abgewandten Seite des nächststehenden Pfeilers.
»Leonhardt, rasch, sag mir, wer dir das
angetan hat!«, flüsterte er.
Der Prospektor öffnete seinen
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