Die Braut des Silberfinders - historischer Roman
sich zu Tode
schämen.
»Hör auf zu winken, törichtes Weib«,
zischte Osman. »So zusammengesunken, wie er da am Pfahl baumelt, kann er dich
gewiss nicht sehen. Du machst nur die Wachen auf uns aufmerksam. Lass uns näher
rangehen, vielleicht findet sich ein Weg, trotz der Soldaten mit ihm zu
sprechen.«
Die Glocken der Marktkirche schlugen zur
Laudes, doch nur wenige Goslarer gingen derart früh am Tage hinein zum
Morgengebet. Vielmehr schauten sie zum Rathaus hinüber, dort, wo nahe eines der
Pfeiler der junge Prospektor am Pranger hing, ringsherum ein gutes Dutzend
Soldaten der Stadtwache. Die meisten Bürger kannten Leonhardt, aber nur wenige
wussten bislang vom unglaublichen Verbrechen, das ihm vorgeworfen wurde, umso
größer daher ihre Neugier.
Die letzten drei, die in diesem Moment an
ihm glauben wollten, waren derweil, die Marktkirche im Rücken, an der
Westflanke des Rathauses angelangt. Zwischen den Reihen der Soldaten hindurch
suchten sie Blickkontakt mit Leonhardt, er jedoch starrte nach wie vor
schamhaft zu Boden. Wer hätte es ihm auch verdenken können, schließlich gab es
keine größere Schande, als an den Pranger gestellt zu werden.
Osman war zum Verzweifeln zumute. Gerade
mal zehn Schritte entfernt, war Leonhardt dennoch unerreichbar. An ein Gespräch
mit ihm war angesichts des undurchdringlichen Ringes von Wachsoldaten um ihn
herum nicht im Traum zu denken. Er überlegte fieberhaft, wie er das Unmögliche
dennoch möglich machen konnte, da erklangen, aus weiter Ferne, die
Fanfarenklänge des Herolds.
Der Marktplatz füllte sich zusehends, denn
wenn es etwas zu verkünden galt, fand es seit jeher hier statt, direkt vor dem
Rathaus. Das war allseits bekannt unter den Bürgern Goslars, und da es immer
wieder ein ganz besonderes Ereignis darstellte, wenn der Herold mit viel
Aufhebens Neuigkeiten ausrief, sprang ein jeder, der die Fanfare hörte, aus
seinem Bett oder ließ die Arbeit ruhen und rannte zum Marktplatz. Und selbst
diejenigen, die bereits so früh am Morgen den Weg in die Kirche gefunden
hatten, traten nun wieder hinaus ins Tageslicht.
Die vielen Menschen machen es auch nicht
leichter, haderte Osman. Er schaute die Front des Rathauses entlang. Dem
ebenerdigen Geschoss vorgelagert war eine Reihe Pfeilerarkaden, dahinter befand
sich ein etwa zehn Fuß breiter Gang. Auf der Marktseite hin begrenzt durch
besagte Pfeiler und auf der anderen durch eine Reihe massiver Holztore, die den
Weg ins Innere des Rathauses freigegeben hätten, wenn sie denn geöffnet gewesen
wären. Heute blieben sie geschlossen, und so musste das Marktgeschehen draußen
stattfinden.
Osman trat mit einem langen Schritt hinein
in den Schatten des Ganges. Die Soldaten standen allesamt im Halbkreis vor dem
Rathaus, so also hoffte Osman, hinter den Wachleuten unbemerkt dicht genug an
Leonhardt heranzugelangen, um einige Worte mit ihm wechseln zu können, immerhin
stand der Pranger unmittelbar an einem Pfeiler. Möglichst dicht an den Holztoren
schlich er voran, auf dass er weitestgehend im Schatten blieb und nach fünf
Schritten hatte er tatsächlich den Ring der Soldaten passiert, ohne von ihnen
gesehen zu werden. Weitere fünf Schritte voraus sah er Leonhardt, noch immer
den Blick starr nach unten gerichtet. Osman verharrte, unsichtbar für die
Soldaten, dicht an die hintere Wand gepresst, und das Herz schlug ihm bis zum
Hals. Er fixierte seinen Brotgeber und betete zum Propheten, dass er endlich
seinen Kopf heben und ihn sehen möge, schließlich trat er sogar einen Schritt
vor und fuchtelte mit seinen Armen, doch Leonhardt machte weiterhin keinerlei
Anstalten aufzublicken.
Verdammter, sturer Bock. Muss ich dir denn
eigenhändig den Kopf heben, damit du mich endlich siehst?, entfuhr es beinahe
Osman.
Die Fanfarenklänge dröhnten durch den Gang,
als der Zug des Herolds, mit weiteren Soldaten und Schaulustigen im Schlepptau,
um die Ostflanke des Rathauses bog und sich kurz darauf vor Leonhardt
aufstellte. Osman fluchte leise in sich hinein und schalt sich einen Ochsen,
jetzt standen sogar noch mehr Soldaten um den Pranger herum. Und dennoch, es
half nichts, er musste nach vorn ins Tageslicht treten, wollte er sein Vorhaben
in die Tat umsetzen.
*
»Was für ein eitler Geck!«, flüsterte Adara Robert ins Ohr.
»Aber Geld muss er haben – schau nur, sein
Überwurf ist purpurn«, staunte Robert. Weiß Gott, nur selten hatte er purpurne
Kleider zu sehen bekommen. Wenn er sich recht besann, kam ihm nur der
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