Die Braut des Vagabunden
Eurem Laden?“
„Verschiedene Arten von Stoffen“, sagte sie. „Möchtest du mehr darüber hören?“
Er nickte, und so begann sie, ihren Laden zu beschreiben und ihre täglichen Aufgaben vor dem Brand.
„London ist abgebrannt“, sagte Toby. „Großmama hat es mir gesagt.“
„Ich weiß. Mein Laden ist auch abgebrannt.“
„Ist alles weg?“
„Nur der Kamin ist geblieben.“ Temperances Stimme versagte, als sie daran dachte, wie einsam er in den Himmel ragte.
Toby dachte über dieses Problem nach. „Papa wird wissen, was zu tun ist“, erklärte er dann. „Nachdem ich ihn gesehen habe, könnt Ihr ihm alles darüber erzählen. Er wird wissen, was zu tun ist.“
„Danke.“ Temperance brachte ein Lächeln zustande. Genau wie Toby war sie davon überzeugt, dass Jack wüsste, was zu tun war – nur fürchtete sie, dass es ihr nicht gefallen würde.
Eleanor, die verwitwete Duchess of Kilverdale, tat so, als lese sie in einem Buch, während sie insgeheim beobachtete, wie Temperance sich mit einer Stickarbeit abmühte. Seit Temperances Ankunft hatten die beiden Frauen jeden Tag mehrere Stunden miteinander verbracht. Eleanor hatte ihre Erwartungen in dieser Hinsicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht – teils, weil sie neugierig war auf die Frau, die behauptete, die Gemahlin ihres Sohnes zu sein, teils, weil sie es als Prüfung ansah. Selbst ein Mädchen aus gutem Hause, das von Geburt an auf die Rolle vorbereitet worden war, die Temperance jetzt für sich in Anspruch nahm, wäre vielleicht überfordert damit, jeden Tag so viele Stunden mit ihrer vornehmen Schwiegermutter verbringen zu müssen. Aber Temperance saß in ihrem Wollkleid ohne jede Befangenheit auf den seidenbezogenen Möbeln, und heiter und offen beantwortete sie jede Frage, die Eleanor ihr in Bezug auf ihr Leben in Cheapside stellte.
Den größten Teil ihres Erwachsenenlebens hatte Eleanor sich und ihre Familie allein durchbringen müssen, in Abwesenheit ihres Gemahls. Sie respektierte, dass Temperance stolz war auf das, was sie erreicht hatte, ehe das Feuer ihr die Lebensgrundlage geraubt hatte. Sie glaubte auch, dass Temperances Offenheit Jack gefiel. Dem Duke of Kilverdale gegenüber sprachen nur wenige Menschen unverhüllt ihre Gedanken aus. Jene, die ehrlich zu ihm waren, wusste Jack zu schätzen.
Aber wie ehrlich war Temperance? Trotz ihrer offenen Art konnte Eleanor nicht glauben, dass sie tatsächlich Jacks angetraute Gemahlin war. Jack war manchmal ungeduldig und unbedacht, doch seit Jahren schon hatte er sich nicht mehr verantwortungslos verhalten und ohne die Konsequenzen seiner Handlungen zu bedenken.
Temperance räusperte sich.
„Verzeiht, Euer Gnaden“, sagte sie und durchbrach das lange Schweigen. „Wann – würdet Ihr mir bitte sagen, wann Tobys Mutter starb?“
„Vivien?“ Erschrocken durch diese Frage legte Eleanor das Buch beiseite. „Sie ist nicht tot. Jedenfalls weiß ich nichts davon. Warum fragt Ihr?“
„Nicht – aber – aber …“ Temperance schien verwirrt.
„Ihre Affäre mit Jack endete kurz nach Tobys Geburt“, sagte Eleanor und stellte überrascht fest, dass Temperance offensichtlich geglaubt hatte, Jack wäre mit Tobys Mutter verheiratet gewesen. Aus den Umständen seiner Geburt hatten sie nie ein Geheimnis gemacht. Wieder wurde sie daran erinnert, dass Temperance aus anderen gesellschaftlichen Kreisen stammte.
„Vivien habe ich seit sechs oder mehr Jahren nicht mehr gesehen“, sagte Eleanor. „Jack gab ihr Geld und verbot ihr, Toby jemals wieder zu besuchen“, fügte sie hinzu, neugierig, wie Temperance darauf wohl reagieren würde.
„Was? Warum?“ Temperance erbleichte.
„Jack ist ein hingebungsvoller Vater“, sagte Eleanor. Das stimmte, allerdings war das nicht die ganze Geschichte.
Sie erkannte die Furcht in Temperances Augen. Die junge Frau sprang auf, und die Stickarbeit fiel zu Boden. Zum ersten Mal sah Eleanor sie verängstigt.
„Ich habe – ich muss – bitte verzeiht, Euer Gnaden“, sagte Temperance und versuchte, ruhig zu bleiben. „Ich habe vergessen, dass ich noch etwas Dringendes zu erledigen habe.“
„Ich bin sicher, das kann noch ein paar Minuten warten“, erwiderte Eleanor und verlieh ihren Worten mit einem aristokratischen Unterton Nachdruck. Eine Tuchhändlerin hatte nicht das Recht, eine Duchess ohne Erlaubnis zu verlassen, und wenn sie wollte, konnte Eleanor sehr hochnäsig wirken.
Temperance starrte die Duchess an, und ihr Herz schlug so
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