Die Braut des Vagabunden
laut, dass sie fest davon überzeugt war, Jacks Mutter könnte es hören. Ihre erste Reaktion war zu fliehen, ehe Jack eintraf, aber es wäre dumm, das zu tun, solange die Duchess ihr zusah.
„Ja, natürlich, Euer Gnaden“, sagte sie. Sie setzte sich, und ihre Knie zitterten. Selbst als Tredgold sie in der Taverne angriff, hatte sie sich nicht so sehr gefürchtet wie jetzt. Damals war sie fest davon überzeugt gewesen, mit diesem Angriff umgehen zu können – aber wie sollte sie mit den Launen eines Dukes fertigwerden?
Als sie darüber nachdachte, was das bedeutete, was sie soeben erfahren hatte, begann die Angst, ihr die Kehle zuzuschnüren. Je länger sie sich in Kilverdale Hall aufhielt, desto mehr verschwand die Erinnerung an den Mann, den sie in London gekannt hatte, und machte Platz für die einschüchternde Gestalt des Duke of Kilverdale.
Mit tauben Fingern drehte sie Jacks Ring hin und her. Wochenlang war dies ihr Talisman gewesen, nun hingegen lag er ihr bleischwer in der Hand. Jetzt erkannte sie ihn auch – es war der Siegelring eines Dukes. Und ein Symbol für Jacks Rang und ihre Lügen.
Vage erinnerte sie sich an ihr Stickzeug. Sie sah sich um und entdeckte es zu ihren Füßen, also hob sie es auf, aber zum Sticken zitterten ihre Hände zu sehr.
Es war nicht grausam von Jack gewesen, ihr den Ring zu geben, doch zu der Zeit hatte er sich Jack Bow genannt. Würde er in Gestalt des Dukes ein anderer sein?
Würde er das Kind nehmen und sie hinauswerfen?
Sie unterdrückte einen Protestlaut. Für Toby wurde gut gesorgt. Vielleicht würde es ihrem Kind mit Jack besser gehen als mit ihr? Ihr Verstand wusste, dass das vermutlich stimmte, nur ihr Herz rebellierte.
Dann kam ihr ein anderer Gedanke, und sie erstarrte. Seit sie Toby getroffen hatte, war sie davon ausgegangen, dass er Jacks Erbe war. Dadurch war ihre Behauptung, mit Jack verheiratet zu sein, etwas weniger schwerwiegend, denn auch wenn es erschreckend wirkte, so hatte es doch keinen Einfluss auf die Erbfolge. Jetzt allerdings begriff sie, dass es so aussehen würde, als wollte sie Jacks Titel für ihr Kind, sobald ihre Schwangerschaft bekannt wurde. Der Sohn einer Tuchhändlerin, der den Titel eines Dukes beanspruchte.
Sie umklammerte die Stickarbeit fester, damit sie nicht etwa eine Hand auf ihren Bauch legte. Selbst wenn es unsinnig erschien, verspürte sie irgendwie den Wunsch, sich bei dem Baby dafür zu entschuldigen, dass sie aus ihm einen Verbrecher machte, ehe es geboren war. Sie war sicher, dass Jack einem unschuldigen Kind nichts antun würde, doch mit jedem Atemzug schien ihre Chance, selbst dem Galgen zu entkommen, geringer zu werden.
„Gebt das mir, Temperance“, sagte die Duchess. „Lasst mich Eure Stickerei nehmen.“
Temperance blinzelte. Sie sah, dass die Duchess sie aufmerksam beobachtete und sich vorbeugte, um ihr das zerknitterte Leinen von den Knien zu nehmen.
„Danke“, sagte Temperance. Dann runzelte sie verwirrt die Stirn. „Warum?“
„Ihr braucht Eure Hände, um Euren Gemahl zu begrüßen“, sagte die Duchess.
„Meinen Gemahl!“ Temperance wollte aufspringen, sank aber wieder auf den Stuhl zurück und umklammerte die Armlehnen. „Er ist hier? Jetzt?“
Sie wandte sich zur Tür. Schritte wurden lauter und kamen immer näher. Ein Diener öffnete die Tür. Jack trat über die Schwelle.
7. KAPITEL
Jack – der Duke of Kilverdale.
Temperance starrte ihn an. Auf den ersten Blick sah er dem Mann, den sie aus London kannte, überhaupt nicht ähnlich. Keine Spur von dem Bild, das sie so oft vor sich gesehen hatte, dem hemdsärmeligen Jack Bow.
Er trug einen Überrock aus burgunderrotem Samt, verziert mit silbernen Schnüren und Knöpfen. Der Samt schimmerte im Licht der Morgensonne, die durch das große Fenster hereinfiel. Der Glanz der Silberknöpfe erschien ihr wie Hohn. An seinem Hals lagen üppige Rüschen aus venezianischer Spitze.
Dann hatte sie genug Mut gefasst, ihm ins Gesicht zu sehen.
Eine schwarze Perücke umrahmte seine kantigen Züge. Als sie ihn zum ersten Mal mit einer Perücke gesehen hatte, hatte sie ihn wegen dieser Extravaganz ausgelacht, doch über den Mann mit den harten Augen zu lachen, der jetzt vor ihr stand, das würde sie nicht wagen. Der Gegensatz zwischen den weichen Locken und seinen männlichen Zügen war noch deutlicher als in London.
Sie sah ihn an und versuchte verzweifelt, ihren Jack Bow hinter dieser großartigen Kleidung zu entdecken. War dieser hochmütige
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