Die Braut des Vagabunden
Frisiertisch.
Sein eigenes Haar lag platt gedrückt und ein wenig feucht von der Last der Perücke um seinen Kopf. Er fuhr mit den Fingern hindurch. Es war nicht so lang wie damals, als sie ihn in der Taverne zum ersten Mal gesehen hatte, doch es erinnerte immerhin an den Mann, von dem sie glaubte, sie hätte ihn in London gekannt.
Vor ihren Augen zog er seinen Überrock aus und legte ihn auf die geschnitzte Eichentruhe.
Temperance starrte ihn an, hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Verwirrung. Sie hatte erwartet, dass er ihr sofort wütende Vorwürfe machen würde, und nicht …
„Was machst du da?“, fragte sie, als er sein spitzenbesetztes Halstuch beiseitewarf.
„Aufholen.“ Er kam auf sie zu.
„Aufholen?“ Sie wich zurück ans andere Ende des Zimmers und sah ihn wachsam an. Ganz plötzlich wurde ihr bewusst, wie breit seine Schultern waren und wie gut seine muskulöse Brust unter dem offenen Hemd zu sehen war.
Ehe er kam, hatte sie versucht, sich den Charakter des Mannes unter der vornehmen Kleidung vorzustellen, aber sie hatte nicht erwartet, dass er ihr so schnell einen vorzüglichen Blick auf den Körper unter besagter Kleidung gewähren würde. Sie wich noch ein wenig weiter zurück, obwohl sie den Blick kaum von ihm abzuwenden vermochte. Angezogen wirkte er sehr beeindruckend, aber so, wie er jetzt war, mochte sie ihn lieber, wenn sie das Spiel der Muskeln unter dem dünnen Leinen sehen konnte. Vom ersten Augenblick an, da sie ihn in der Taverne gesehen hatte, hatte sie ihn berühren wollen, und trotz aller widerstreitenden Gefühle wollte sie das noch immer.
„Du bist schon bereit fürs Bett“, begann er. „Und ich weiß, dass du eine Frau von leidenschaftlichem und ungeduldigem Temperament bist – wie du eben gezeigt hast, als du dich darüber beklagtest, dass ich dich so lange habe warten lassen. Als Gentleman sehe ich es als meine Pflicht an, dich nicht noch mehr zu verärgern durch weitere Verzögerungen.“ Er griff nach seinem Gürtel.
„So habe ich das nicht gemeint!“, rief Temperance erschrocken aus. „Hör sofort auf damit!“
Ihr kam der Gedanke, dass sie Gefahr lief, in die Ecke gedrängt zu werden, wenn sie blieb, wo sie war, daher ging sie zurück in die Mitte des Raumes, die Nerven bis zum Zerreißen angespannt.
Dort drehte sie sich hoch erhobenen Hauptes zu ihm um. „Ich bin nicht dein Spielzeug. Und ich werde nicht zulassen, dass du mich so behandelst. Ich kam her guten Glaubens. Bestrafe mich, wie du es für richtig hältst, aber demütige mich nicht.“
Er stand so schnell vor ihr, dass sie erschrocken verstummte.
„Wie habe ich dich denn gedemütigt?“, wollte er wissen. Seine Augen funkelten. „Wie? Sag mir, wann ich dich jemals gedemütigt habe!“ Er umfasste ihr Gesicht, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihn anzusehen.
Sie sah ihn an, und ihr Herz schlug so heftig, dass sie nicht sprechen konnte. In seinen Augen lag Zorn, wie sie ihn nie zuvor gesehen hatte. Weder verstand sie seine Stimmung noch was er von ihr wollte. Die Spannung erstickte sie beinahe, während sie zusah, wie er ihr Gesicht mit einem raubtierhaften Ausdruck in den Augen betrachtete.
Sie musterte ihn ebenso gründlich wie er sie – und erneut fielen ihr seine kantigen Züge auf. Die hohen Wangenknochen und das energische Kinn. Die tief liegenden Augen, die vor Heiterkeit strahlen konnten oder einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Tagelang hatte sie sich gefragt, was er tun würde, wenn er nach Hause kam, hatte mit jeder erdenklichen Reaktion gerechnet, doch aus irgendeinem Grund hatte sie vergessen, wie unberechenbar dieser Mann aus Fleisch und Blut sein konnte. Schon in London hatte er sie mehrmals mit seinen unerwarteten Handlungen erschreckt. Sie erinnerte sich, wie er mit ihr auf der Straße vor ihrem Laden gestritten und dann seine Perücke abgerissen hatte, als sie ihn wegen dieser Extravaganz gescholten hatte.
In ihrem Kopf begannen der Mann aus ihrer Erinnerung und jener, der vor ihr stand, zu einem zu verschmelzen. Vielleicht waren Jack Bow und der Duke of Kilverdale nicht so verschieden voneinander, wie sie gefürchtet hatte.
„Jack?“, flüsterte sie. „Jack?“
Der harte Ausdruck in seinen Augen verschwand, während er mit einem Finger über ihre Wange strich.
Seine leichte Berührung weckte die verschiedensten Gefühle in ihr. Seine Liebkosung war so sanft, so zärtlich, dass sie sich ihm am liebsten in die Arme geworfen hätte, aber sie
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