Die Braut des Vagabunden
Sie hatte recht gehabt mit ihrer Vermutung, dass sich hinter seinem Necken eine düstere Stimmung verbarg. „Das war nicht möglich. Noch wichtiger als Überzeugungskraft ist es, alle wichtigen Informationen zu kennen. Ich wusste nicht, dass du ein Duke bist. Du hast mich zuerst belogen.“
„Du glaubst, dass zwei Lügen einander aufheben?“, fragte Jack.
„Nein. Du sollst nur verstehen, dass ich das getan habe, weil mir nichts anderes übrig blieb“, sagte sie. „Ich hatte kein Geld. Wäre ich in London geblieben, so wäre mein Ruf zerstört. Vielleicht wäre ich dem Pranger oder einer öffentlichen Auspeitschung entkommen, aber nur, wenn ich mich der Gnade der Freunde meines Vaters ausgeliefert hätte. Den Rest meines Lebens hätte ich in Schande leben müssen. Dein Kind wäre in Schande aufgewachsen.“
„Ich weiß auch das“, sagte Jack etwas sanfter.
„Ich dachte …“ Bebend holte sie Atem. „… als ich daran dachte, wie du nach Nellie Carpenters Tochter suchtest, glaubte ich, du würdest für dein Kind keine Zukunft in Schande wollen. Ich wusste nicht …“ Sie machte eine Handbewegung, die die gesamte Umgebung, das Haus und den Park umfasste.
„Was dachtest du, als du die Wahrheit erfuhrst?“
Temperance sah Jack wachsam an und fragte sich, warum er das wissen wollte. Sie bemerkte, dass er sie unter halb geschlossenen Lidern beobachtete.
„Ich dachte, du seiest ein Lügner“, sagte sie. Es schien ihr keinen Grund zu geben, nicht die Wahrheit zu sagen. „Und dann hatte ich Angst. Sehr große Angst.“
„Warum bist du nicht fortgegangen? Davongelaufen, solange du noch die Chance dazu hattest?“, fragte er.
Sie blickte auf ihre Hände hinunter und bewegte die Finger, während sie über eine Antwort nachdachte.
„Ich dachte, ich würde nicht weit kommen“, sagte sie. „Nicht, wenn du mich jagtest. Ich habe London zum ersten Mal verlassen. Ich konnte nirgends hin. Außerdem …“
„Außerdem?“ Sein Ton wurde schärfer.
„Ich wollte es dir erklären, damit du verstehst, warum ich es getan habe. Und …“
„Und?“
Sie sah ihn an. „Hör meinen Vorschlag.“ Sie hielt ihn am Ärmel seines Überrocks fest in dem verzweifelten Versuch, erst ihr Anliegen vorzutragen, ehe er endgültig über ihr Schicksal entschied. „Bitte.“
Er neigte den Kopf in der stummen Aufforderung zur Seite, weiterzusprechen.
Sie wartete einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen.
„Ich habe im Feuer alles verloren“, sagte sie schließlich. „Aber ich bin sicher, dass mein gesamter Warenbestand, der für mich so wertvoll war, für dich nur eine unwesentliche Summe bedeutet.“
„Ja.“ Jacks Miene blieb weiterhin ausdruckslos.
„Also wirst du vielleicht, da das Kind ja ebenso deines ist wie meines, mir das Geld geben, um irgendwo einen kleinen Laden zu eröffnen“, sagte sie und beeilte sich, alles zu sagen, ehe er die Geduld verlor. „Natürlich nicht in London. In einer anderen Stadt, wo ich mich als ehrbare Witwe ausgeben kann.“
„Du willst, dass ich dir zurückgebe, was das Feuer dir geraubt hat?“, fragte Jack. „Nur in einer anderen Stadt.“
Temperance nickte. So weit schien ihre Bitte ihn nicht zu empören. Jetzt war der Zeitpunkt für ihn gekommen, ihr ein Gegenangebot zu machen und sie als seine Mätresse zu beanspruchen, sollte das sein Wunsch sein. Sie sah ihn ängstlich an, nicht sicher, ob sie hoffen oder wünschen sollte, dass er das tat.
„Das Land, auf dem mein Laden stand, gehört mir noch“, fügte sie nach einer kleinen Weile hinzu. „Ich kann es mir nicht leisten, ihn wieder aufzubauen. Nur etwas muss getan werden, sonst verliere ich es, während ich nicht in London bin, um meine Rechte zu verteidigen.“
„Willst du es behalten oder verkaufen?“, fragte Jack.
„Ich habe es behalten, weil ich dann wenigstens etwas habe, zu dem ich zurückkommen kann, wenn – wenn –, aber natürlich kann ich nicht zurück. Nicht nach London. Für eine lange Zeit nicht mehr. Es wird am besten sein, wenn ich es verkaufe“, sagte sie energisch, obwohl es ihr das Herz zerriss, die letzten Verbindungen zu ihrem alten Leben zu lösen. „Das Geld kann mit dem verrechnet werden, was ein neuer Laden kostet.“
„Wie ich sehe, kannst du dich davon nicht trennen“, sagte Jack. „Wir behalten es und bauen es wieder auf.“
Sie sah ihn an. „Was meinst du damit?“
„Dein Laden ist dein Erbe“, sagte er. „Wir behalten ihn. Aber du musst dir einen Pächter suchen.
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