Die Braut des Vagabunden
und trat von Jack zurück. „Darf ich mit dir tanzen?“ Sie lächelte Toby zu und versuchte, ihm nicht zu zeigen, wie ängstlich sie auf seine Antwort wartete. Aus dem Augenwinkel sah sie Jacks erschrockene Miene, während er abwechselnd sie und Toby ansah. Sie hoffte, er würde ihre Absicht verstehen.
„Nein“, erwiderte Toby tonlos.
Es gelang Temperance weiterhin zu lächeln, selbst wenn ihr die Mundwinkel dabei schmerzten. Sie fürchtete, alles noch schlimmer gemacht zu haben, wusste aber nicht, was sie als Nächstes tun sollte. Zu ihrer Erleichterung kam Jack zu ihrer Rettung.
„Ich werde dir ein paar neue Schritte zeigen“, sagte er zu Toby. „Du musst mit Temperance tanzen, weil dieser Tanz nur mit einer richtigen Dame geht – mit einer, die Röcke trägt. Isaac, du wirst jetzt mit der Dowager Countess tanzen.“
Sofort raschelte Temperance mit ihren neuen Seidenröcken und sank in ihren tiefsten Knicks. Sonst fiel ihr nichts ein, das sie mit ihren Röcken tun könnte, was Isaac in seiner Hose nicht auch gelang.
Eleanor lächelte und knickste vor Isaac. Er begann zu stottern, errötete und verneigte sich tief vor ihr.
Der neue Tanz, den Jack sie lehrte, enthielt so viele Verbeugungen, Knickse und verwirrende Richtungswechsel, dass sie am Ende alle atemlos waren vor Lachen über ihre Fehler. Nun, da Toby wieder im Mittelpunkt der väterlichen Aufmerksamkeit stand, schien er seine frühere Eifersucht vergessen zu haben – dennoch warf die Erinnerung an seinen feindseligen Blick einen Schatten auf Temperances Freude an diesem Nachmittag.
An nächsten Morgen war der Himmel bedeckt. Nach einem Blick aus dem Fenster beschloss Temperance, lieber die Galerie entlang als draußen spazieren zu gehen. Tobys Eifersucht machte ihr Sorgen. Mochte Jack sie auch aus rein praktischen Erwägungen heiraten, so zweifelte sie doch nicht an seiner Liebe zu seinem Sohn. Sie wollte nicht, dass Toby durch ihre Heirat mit Jack verletzt wurde, und ebenso wenig wollte sie mit ihm um Jacks Zuneigung wetteifern. Sie fürchtete nicht, von Jack fortgeschickt zu werden, wenn Toby sie irgendwann hassen sollte – eine Ehe konnte nicht so einfach getrennt werden, vor allem nicht, wenn es um die Erbfolge ging –, aber seine Haltung ihr gegenüber konnte sich ändern. Es wäre nicht schwer, sie in Kilverdale Hall zurückzulassen, während er Toby mit sich nahm.
Sie erreichte die Haupttreppe und ging hinunter, so tief in Gedanken, dass sie erschrak, als sie klappernde Absätze auf dem Gang hörte. Sie blickte über das Geländer und sah, wie Hinchcliff auf den großen Salon zuging, flankiert von livrierten Dienern.
Auf halber Treppe blieb sie stehen, unbemerkt von allen, während die Lakaien die Tür öffneten und ein Mann über die Schwelle trat. Unter seiner Hutkrempe konnte sie sein Gesicht nicht erkennen, aber die Locken seiner hellbraunen Perücke fielen über seine Schultern und den Überrock aus Samt und Spitze, der ebenso großartig war wie der von Jack.
Der gut gekleidete Mann musste einer der Hochzeitsgäste sein. Der Erste, der eintraf. Ein Edelmann, der Hinchcliff wohl bekannt zu sein schien, denn der Majordomus verneigte sich und begrüßte ihn mit: „Euer Lordschaft.“
Temperance sah den Fremden an, für einen Moment vor Furcht wie gelähmt. Schließlich gelang es ihr, wieder zu atmen, doch ihr Herz schlug so laut und heftig, dass sie kaum verstand, was Hinchcliff zu dem Besucher sagte.
Er würde das erste Mitglied der Gesellschaft sein, mit dem Temperance als Jacks Duchess sprach. Der Erste, den sie davon überzeugen musste, Jacks wirkliche Gemahlin zu sein. Würde er einen Blick auf sie werfen und dann aufgrund ihrer niederen Abkunft verächtlich den Mund verziehen? Würde er wie der Seidenhändler Tolworth wissen – noch ehe sie ein Wort sagte –, dass sie nach Cheapside gehörte? Sie hatte immer geglaubt, Jack würde an ihrer Seite sein, wenn dieser Augenblick kam. Aber hier war sie mitten auf der Treppe, ohne eine Möglichkeit, sich zu verstecken. Sie nahm ihren Mut zusammen, erinnerte sich daran, dass sie jetzt eine Duchess war, und ging die letzten Stufen hinunter. Der Besucher drehte sich zu ihr um.
Einen Moment lang vergaß sie alles andere über dem, was sie jetzt sah. Der Mann, der vor ihr stand, war blass, blauäugig und alt – aber in jeder anderen Beziehung war er Jacks genaues Ebenbild. Dieselbe Adlernase, die tiefliegenden Augen und markanten Wangenknochen. Er besaß Jacks hohen Wuchs,
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