Die Braut des Vagabunden
ebenso breite Schultern, und er hielt sich noch immer kerzengerade, obwohl er in den Siebzigern sein musste.
Temperances erster verwirrter Gedanke war, dass Jack in fünfzig Jahren so aussehen würde. Nur würde er durchdringende braune Augen haben statt dieser durchdringenden blauen.
„Wie ich sehe, erkennt Ihr mich“, sagte der Gast. „Zu meinem Bedauern ist diese Ehre nicht meinerseits.“
14. KAPITEL
„Euer Gnaden, darf ich Euch Lord Swiftbourne vorstellen“, sagte Hinchcliff, wofür Temperance ihm sehr dankbar war.
„Euer Lordschaft“, wandte der Majordomus sich an Swiftbourne, „darf ich Euch Ihre Gnaden vorstellen, die Duchess of Kilverdale?“
Swiftbourne nahm die Vorstellung mit einer leichten Neigung des Kopfes zur Kenntnis. Vollkommen verblüfft von seiner Ähnlichkeit mit Jack und überwältigt von seinem majestätischen Benehmen, knickste Temperance, wie sie es in Cheapside getan hätte.
„Es freut mich, Euch kennenzulernen, Mylord“, sagte sie und streckte ihm ihre Hand entgegen. Zum ersten Mal war sie froh über ihre Größe, die es ihr gestattete, Jacks beeindruckendem Großvater direkt in die Augen zu sehen. „Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise.“
Er kniff die Augen zusammen und erschreckte sie damit erneut. Dasselbe hatte sie Jack schon viele Male tun sehen, allerdings hatte er sie niemals so kühl gemustert. Sie reckte das Kinn, entschlossen, sich von Lord Swiftbourne nicht einschüchtern zu lassen. Eine Weile noch fuhr er fort, sie auf diese beunruhigende Weise zu betrachten, dann verzog er einen Mundwinkel, was wie die Andeutung eines Lächelns aussah, doch der Eindruck war so flüchtig, dass sie beinahe sicher war, sich getäuscht zu haben.
„Wenig bemerkenswert“, erwiderte er. „Zum Glück regnete es nicht. Bei nassem Wetter verwandeln sich die Straßen von Sussex in eine Sumpflandschaft.“
Obwohl sie vor zwei Wochen zum ersten Mal nach Sussex gekommen war, missfiel es Temperance, wie er ihre neue Heimat kritisierte.
„Mir scheint es ein besonders schöner Teil Englands zu sein“, sagte sie, zog ihre Hand zurück und ignorierte die Tatsache, dass es der einzige Teil außerhalb Londons war, den sie jemals gesehen hatte. „Die Landschaft ist sehr anmutig und abwechslungsreich. Und im Park gibt es Rehe.“ Seit ihrer Ankunft hatte sie Vergnügen daran gefunden, die Tiere von den Fenstern des Hauses aus zu beobachten.
Swiftbourne zog eine Braue hoch, was Temperance sowohl an Eleanor als auch an Jack erinnerte.
„Ihr mögt Rehfleisch?“, fragte er.
Sie runzelte die Stirn. So hatte sie es nicht gemeint. „Ich mag es, sie anzusehen, nicht, sie zu essen“, sagte sie. „Es sind so elegante Geschöpfe.“
Diesmal zog Swiftbourne beide Brauen hoch. Ihr kam der Gedanke, dass ihre Bemerkung ihn tatsächlich ehrlich überrascht haben könnte. Als einer der Minister des Königs erwartete er vielleicht, dass Menschen niederen Ranges ihm uneingeschränkt zustimmten.
Ihr war bewusst, dass Hinchcliff sich in der Nähe aufhielt, und sie hoffte, dass er an ihrem Verhalten keinen Makel fand. Dann fiel ihr ein, dass sie in Cheapside einem geehrten Besucher eine Erfrischung angeboten hätte.
Verlegen über dieses Versagen als Gastgeberin, öffnete sie den Mund, um die Situation zu retten. Ehe sie etwas sagen konnte, hörte sie, wie Jack nach ihr rief, dann vernahm sie seine Schritte auf der oberen Treppe. Einen Augenblick später kam er um die Ecke und sprang hinunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.
„Tempest! Da bist du ja. Willst du …“
Bei Swiftbournes Anblick unterbrach er sich und erbleichte. Nach einem Moment hatte er sich wieder gefasst und kam die Treppe hinunter, eine Stufe nach der anderen. Seine Miene war verschlossen und abweisend.
„Guten Morgen“, sagte Swiftbourne. „Ich bin gekommen, um der Erneuerung Eures Eheversprechens beizuwohnen. Das Ereignis wird doch in zwei Tagen stattfinden?“
„Ich habe Euch nicht eingeladen“, sagte Jack tonlos.
„Nein“, erwiderte Swiftbourne. „Das tat Eure Mutter.“
Jack sagte kein Wort mehr. Er warf Temperance einen kurzen Blick zu, bevor er kehrtmachte und davonging. Sie blieb neben Swiftbourne zurück, nicht sicher, ob sie Jack folgen sollte oder ob er erwartete, dass sie blieb und seinen Großvater willkommen hieß. Sie warf einen Blick auf Hinchcliff, aber dessen ausdruckslose Miene bot ihr keine Hilfe. Lord Swiftbourne sah Jack mit hochgezogener Braue nach. Temperance gewann den Eindruck,
Weitere Kostenlose Bücher