Die Braut des Vagabunden
ich weiß, dass er etwas Abwertendes äußerte und Ihr deswegen fortgingt. Und ich weiß, dass es ihm leidtut. Das ist alles. Sonst nichts. Nicht – nicht, was er gesagt hat, oder – nun, sonst gar nichts.“
Lady Desirée sah Temperance an und ließ ihren Blick dann über die Galerie schweifen.
„Zum Teil liegt es daran“, gab sie zu. „Aber ich bin etwas in Gedanken, weil das Haus mich so sehr an meinen Vater erinnert. Seit wir angekommen sind, rechne ich damit, ihm zu begegnen.“
„Eurem Vater?“, fragte Temperance verwirrt. „Warum?“
„Wir waren zusammen hier“, erläuterte Lady Desirée, während sie gemeinsam die Galerie entlangschlenderten. „Er starb vor einigen Jahren, und zu Hause habe ich mich an seine Abwesenheit gewöhnt. Dort erwarte ich niemals, ihn zu sehen. Doch als ich das letzte Mal hier war und diese Galerie entlangging, war er neben mir. Daher denke ich manchmal, er müsste jetzt hier sein. Allerdings glaube ich nicht, dass es lange dauern wird, bis ich mich daran gewöhnt habe“, fügte sie heiter hinzu.
Sie erreichten das L-förmige Ende der Galerie, wo der Billardtisch stand. Dahinter war ein großes Fenster, von dem aus man einen herrlichen Blick über den Park hatte. Temperance ging voraus zu dem Fenster, als sie plötzlich bemerkte, dass sie allein war. Sie drehte sich um und stellte fest, dass Lady Desirée wie angewurzelt stehen geblieben war und auf den Billardtisch starrte. Zu spät erinnerte sich Temperance daran, dass Lady Desirée dort Jacks unfreundliche Bemerkung gehört und ihr Vater versucht hatte, ihn zum Duell zu fordern. Ehe Temperance etwas sagen konnte, fasste Desirée sich wieder. Sie lächelte Temperance an und ging weiter, als wäre nichts geschehen.
Sofort traf Temperance eine Entscheidung. Lady Desirée schien nichts gegen sie zu haben, und Jack wollte, dass sie sich mit der Gemahlin seines Cousins anfreundete. Vielleicht war es an der Zeit, in der langen Galerie für sie beide neue Erinnerungen zu erschaffen.
„Habt Ihr jemals Billard gespielt?“, fragte sie.
„Nein.“ Desirée schien überrascht, dann erfreut über die Frage.
„Ich auch nicht. Wollen wir es versuchen?“ Temperance nahm zwei der seltsam geformten Stäbe auf und reichte einen davon Desirée. Neugierig betrachtete sie ihren. Er war lang und dünn, mit einer abgerundeten Spitze.
„Habt Ihr eine Ahnung, was wir damit tun sollen?“, fragte sie.
„Ich denke, ich weiß es.“ Desirée schlug die Spitze an ihrem Ärmel zurück und stellte sich zu ihrem Ball. „Ich bin dran“, sagte sie.
15. KAPITEL
„Ich habe ihn!“ Temperance begann, unter dem Billardtisch hervorzukriechen. „Au!“
„Habt Ihr Euch wehgetan?“ Besorgt kauerte Desirée sich nieder.
„Nein. Ich habe mir nur an dem dummen Tischbein den Kopf gestoßen. Es tut nicht weh.“ Temperance saß auf dem Boden, die Kugel in der Hand, und lachte, bis ihre Rippen schmerzten.
Desirée ließ sich auf die Dielen fallen und lachte ebenfalls. „Euer Gesicht – Euer Gesicht war so komisch, als der Ball vom Tisch sprang“, stieß sie hervor.
„Er ist nicht richtig gerollt!“, meinte Temperance empört. Sie hielt die Billardkugel hoch. „Seht! Da ist eine Beule an der Seite!“
Zum ersten Mal seit Jahren hatte Temperance so viel Spaß. Nach den Anspannungen der letzten Wochen war das Gefühl der Erleichterung, das ihr das Lachen verschaffte, so überwältigend, dass sie sich tatsächlich wie betrunken fühlte. Vermutlich ging es Desirée ähnlich.
Sie hörte Schritte und sah über ihre Schulter hinweg, dass Jack und Jakob gekommen waren. Sie blickte hinauf zu ihren verblüfften Gesichtern und schaute Desirée an. Dann brachen beide Frauen erneut in Gelächter aus.
„ Min älskade, was tust du da?“, fragte Jakob.
„Wir spielen – spielen Billard“, stieß Desirée zwischen Lachattacken hervor.
„Man spielt Billard auf dem Tisch, nicht darunter“, meinte Jakob und lächelte, als er sich zu ihnen hockte.
„Meine Kugel sprang herunter.“ Temperance hielt sie hoch, um ihre Worte zu unterstreichen. Sie beugte sich zurück, um Jack ins Gesicht sehen zu können, und wäre um ein Haar aus dem Gleichgewicht geraten. „Oh.“ Sie streckte eine Hand aus und lachte wieder, als sie seine Miene sah. „Das muss Euch auch passiert sein“, sagte sie.
„Nicht oft“, erwiderte er mit ernster Miene.
Ihre Heiterkeit verschwand. Sie verhielt sich nicht so, wie es einer Duchess gebührte. Verlegen und
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