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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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einer Ehe.»
    «Aber es gibt auch die anderen. Die es befriedigt, wenn sie einen Mord begehen?»
    «Ich spreche nicht von Mord, ich spreche lieber von Tötung. Der Ausdruck ‹Mord› will urteilen. Das Wort ‹Tötung› will beschreiben. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Es kommt selten vor, aber es kommt vor. Und es gibt keinen Wissenschaftler, der sich nicht für seltene Exemplare interessieren würde.»
    Marthaler merkte, dass sie jetzt an dem ersten entscheidenden Punkt ihres Gesprächs angelangt waren.
    «Und Sie sind sich sicher, dass wir es hier mit einem dieser seltenen Fälle zu tun haben?», fragte Marthaler.
    «Ja, da bin ich mir ganz sicher. Der Mann tötet aus Lust. Nach allem, was Sie mir erzählt haben, gibt es nur diesen einen Schluss. Falls Sie daran noch Zweifel hatten: Der Mann ist auf jeden Fall ein Sadist.»
    «Und was hat ihn zu dieser   … Neigung gebracht?»
    Rainer Hirschberg ließ sich Zeit. Er klopfte seine Pfeife aus und begann sie zu reinigen. «Da wir ihn nicht kennen, ist das die schwierigste Frage, die Sie mir stellen können. Vielleicht ist es aber auch nicht die wichtigste Frage. Vielleicht sollten wir zunächst versuchen herauszubekommen,
wie
er ist, bevor wir fragen,
wieso
er so geworden ist.»
    «Wir haben uns darüber gewundert, dass er seine Opfer nicht vergewaltigt hat. Widerspricht das nicht der Annahme, dass er aus sexuellen Gründen tötet?»
    Hirschberg schüttelte heftig den Kopf. «Nein, ganz und gar nicht. Im Gegenteil ist es eher ein Beleg
dafür
. Sadisten haben häufig kein Verhältnis zum heterosexuellen Verkehr. Erlöst in ihnen Angst- oder Abwehrreaktionen hervor. Es kann sogar sein, dass sie in Gegenwart einer Frau impotent sind. Zu einer Erektion kommt es erst später, wenn der Täter in seinen Phantasien die Tötung wiederholt.»
    «Deshalb also die Fotos», sagte Marthaler.
    «Ja, die Fotos sind Trophäen, die ihm erlauben, die Tat zu verlängern. Und es sind Erinnerungshilfen.»
    «Lässt sich aus der Art, wie er die Frauen gefoltert und getötet hat, etwas ablesen? Sagt Ihnen das etwas über den Mann?»
    «Wir unterscheiden drei Typen von Sadisten. Die ersten wollen schlagen, sie wollen züchtigen und überwältigen. Ihnen ist ihre Herrschaft wichtig. Für die zweiten spielt die Erniedrigung eine große Rolle, sie wollen beschmutzen und bestrafen. Ihre Phantasie richtet sich meist auf das Gesäß. Der dritte Typus ist auf alles Orale fixiert. Er will verschlingen, beißen, zerstückeln. Ihm geht es darum, sich den anderen einzuverleiben.»
    «Und», fragte Marthaler, «mit welcher Sorte haben wir es zu tun?»
    «Ich würde sagen, mit einer Mischung aus Typ eins und zwei. Er scheint wie die meisten Sadisten ein festgelegtes Ritual zu haben. Übrigens gehören zu einem solchen Ritual fast immer irgendwelche Requisiten. Das können Stöcke oder Peitschen sein. Manchmal erfüllen auch bestimmte Materialien oder Kleidungsstücke diese Funktion. Der eine bevorzugt Pelzmäntel, der andere Gummihandschuhe oder Ledergürtel. Allein der Geruch dieser Gegenstände kann bereits zu einem Erregungszustand führen. In unserem Fall sind dabei wohl die Brautschleier interessant.»
    Marthaler wartete darauf, dass Rainer Hirschberg weitersprach. Ihm selbst schwirrte der Kopf. Da sitzen wir hier in dieser Wintersonne, dachte er, um uns nur die Stille der Natur,und wir reden über Menschen, denen die Zerstörung anderer Menschen Lust bereitet.
    «Die Brautschleier», sagte er. «Was ist damit? Was haben sie zu bedeuten?»
    «Genau das ist die Frage», sagte Hirschberg. «Wir deuten ein Verbrechen wie ein Gedicht. Was will uns der Täter damit sagen? Verlobung, Heirat und Ehe spielen für viele Sadisten eine zentrale Rolle. Oft gibt es eine starke Bindung an die Mutter und einen schwachen bis lieblosen Vater. Und oft haben wir es mit Müttern zu tun, die versuchen, die sexuelle, männliche Entwicklung ihrer Söhne zu unterbinden. Diese Erfahrung ist für die Täter prägend. Entweder sind sie unfähig, überhaupt eine befriedigende Partnerschaft einzugehen, oder sie führen eine Ehe, aus der die Sexualität weitgehend ausgeklammert ist. Ich erinnere mich an den Fall eines Mannes, der alle Frauen für unrein hielt. Alle, außer seiner Mutter. Bei seinen Schulkameradinnen und später bei seinen Arbeitskolleginnen entdeckte er immer nur das ‹Hurenhafte›. Je verdorbener ihm die anderen Frauen vorkamen, desto mehr verklärte er seine Mutter zur ‹Heiligen›.»
    «Und

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