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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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Stiefels steckte eine Reitgerte. Die Frau lachte. Marthaler fragte sich, wer sie eigentlich war. War sie Hirschbergs Tochter, war sie seine Freundin oder seine Ehefrau?
    «Ihr müsst ja halb verdurstet sein», sagte sie. «Ich dachte, ein Krug mit Apfelwein käme jetzt gerade recht.»
    Sie stellte das Tablett auf den Tisch, gab Hirschberg einen raschen Kuss auf den Hinterkopf und verabschiedete sich mit einem Winken.
    Marthaler wartete, dass ihm eingeschenkt wurde, dann trank er das Glas mit zwei raschen Zügen leer. Er hatte es jetzt eilig, er wollte das Gespräch zu Ende bringen.
    «Glauben Sie, der Täter hat die Frauen gekannt, bevor er sie umgebracht hat?»
    Wieder überlegte der andere lange, bevor er eine Antwort gab. «Diese Frage habe ich mir inzwischen schon mehrmals gestellt. Ich glaube, dass er Gabriele Hasler gekannt hat. Und ich denke, dass ihm Andrea Lorenz fremd war. Ich kann diese Meinung nicht wirklich begründen. Trotzdem denke ich, dass sie richtig ist. Er hat mit etwas begonnen, das er kannte. Dann hat er sich einen Schritt weiter vorgewagt. Er wollte das Risiko erhöhen. So kommt es mir jedenfalls vor.»
    «Genauso geht es mir auch», sagte Marthaler. «Ich bin derselben Auffassung, und auch ich kann nicht sagen, wie ich zu dieser Meinung komme.»
    Er überlegte, was er noch fragen konnte. Er wollte nichts Wichtiges vergessen.
    «Einer meiner Mitarbeiter hat die Vermutung geäußert, dass der Täter gefasst werden will. Glauben Sie an so etwas? Kann das, nach allem, was Sie wissen, sein?»
    Hirschberg nickte. «In der Tat gibt es einen so genannten Geständniszwang. Es gab schon Täter, die tagelang mit der blutigen Kleidung einer Getöteten auf dem Beifahrersitz ihres Autos durch die Gegend gefahren sind, um so ihre Verhaftung zu provozieren.»
    «Also sehen sie die Ungeheuerlichkeit ihrer Taten ein. Also wollen sie dafür büßen.»
    Hirschberg hob die Brauen und verzog seinen Mund zu einem Lächeln. «Ich muss Sie enttäuschen. In den wenigsten Fällen handelt es sich dabei um Reue. Oft will so jemand seine vermeintlich große Tat endlich veröffentlicht sehen, er will mit ihr prahlen. Und: Er will den Zeitpunkt seiner Verhaftung selbst bestimmen. Denn er will ja entdeckt werden, um allen zu zeigen, dass er es war, der die Welt in Atem gehalten hat. Er, dem man das am wenigsten zugetraut hat. Und wenn er dann gesteht, kann er seine Tat im Geist noch einmal genüsslich wiederholen. Das ist auch der Grund, warum viele dieser Täter schon bald nach ihrer Verhaftung ihre Geschichte an einen Fernsehsender oder an eine große Illustrierte verkaufen. Sie tun so, als würden sie bereuen, in Wirklichkeit brüsten sie sich.»
    «Meinen Sie, es hat etwas zu bedeuten, dass Gabriele Hasler ausgerechnet in der Nacht zu ihrem Geburtstag umgebracht wurde und Andrea Lorenz an ihrem Hochzeitstag?»
    «Ganz gewiss», bestätigte Hirschberg. «Sadisten lieben Details. Solche Kleinigkeiten sind für sie das Salz in der Suppe.»
    «Aber wenn er Andrea Lorenz doch gar nicht gekannt hat?», erwiderte Marthaler.
    «Sagen wir lieber: Sie hat ihn nicht gekannt. Solche Täterkundschaften ihre Opfer aus. Das ist Teil ihrer Machtausübung. Sie beschaffen sich Informationen, um sie irgendwann zu verwenden.»
    «Gibt es noch etwas, das Sie mir sagen können?», fragte Marthaler. «Etwas, das uns hilft, den Mann schnell zu fassen?»
    Hirschberg legte seine Pfeife beiseite und sah Marthaler direkt in die Augen. «Entschuldigung, aber Sie haben noch immer nicht verstanden. Es ist mir egal, ob Sie ihn fassen. Und wenn Sie ihn fassen, ist es mir egal, was Sie mit ihm machen. Ob Sie ihn therapieren, ins Gefängnis sperren oder hinrichten, das sind Entscheidungen, die außerhalb meiner Reichweite liegen. Man hat meine Meinung lange genug ignoriert. Inzwischen habe ich aufgehört, der Welt meine Meinung zu sagen. Das heißt nicht, dass ich keine Meinung habe, aber ich sage sie nicht mehr.»
    Marthaler war aufgestanden. Er hatte das Bedürfnis, diesen Ort zu verlassen. Er wollte nur noch auf sein Rad steigen und den steilen Ruppertshainer Berg hinauffahren. Aber bevor er sich verabschieden konnte, ergriff Rainer Hirschberg noch einmal das Wort.
    «Darf ich Ihnen auch eine Frage stellen?», sagte er.
    «Bitte», erwiderte Marthaler.
    «Sie haben Ihre Schwierigkeiten mit mir, nicht wahr. Würden Sie mir sagen, warum?»
    «Ich habe vieles gelernt während unseres Gesprächs. Viele Irrtümer haben Sie ausgeräumt. Aber ich finde, dass

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