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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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man Grenzen ziehen muss. Mir missfällt Ihre Haltung, die für alles Verständnis aufbringt, die jede Abweichung als gegeben hinnimmt. Ich glaube, dass man Sie dort, wo Sie gearbeitet haben, verletzt hat. Und dass Sie darüber resigniert sind. Auch ich bin manchmal müde. Dann lege ich mich ins Bett und schlafe zwölf Stunden durch. Und am nächsten Morgenstehe ich auf und mische mich wieder ein. Anders als Sie bin ich der Meinung, dass man sich einmischen muss. Dass man nicht zuschauen darf, wenn die Menschen sich gegenseitig umbringen. Sie dagegen kommen mir vor wie jemand, der nicht eingreifen will. Der auf einer Wolke sitzt und auf die Welt herunterschaut. Und der milde lächelnd alles geschehen lässt, was geschieht. Ich nehme an, mit dieser Einschätzung liege ich richtig?»
    «Ja», sagte Rainer Hirschberg, «ich hätte es anders ausgedrückt. Aber falsch ist es nicht.»
    «Sehen Sie, und das ist etwas, das mir nicht gefällt. Trotzdem bedanke ich mich bei Ihnen. Aber eine letzte Frage habe auch ich noch», sagte Marthaler. «Es gibt doch diese Insekten, die ganze Bienenvölker zusammenbrechen lassen. Wie heißen sie noch gleich?»
    «Sie meinen die Varroa-Milben. Es sind keine Insekten, sondern Spinnentiere. Ja, sie sind ein ernstes Problem für alle Imker.»
    «Was machen Sie mit diesen Milben?»
    «Es gibt Mittel, um sie zu bekämpfen. Die wende ich an.»
    «Sehen Sie», sagte Marthaler. «Das habe ich mir gedacht.»

ZEHN
    Am Abend zuvor war Tobi noch lange gefahren – selbst als es schon längst dunkel geworden war. Er hatte nicht darauf geachtet, wohin er fuhr. Er hatte kein Ziel, außer dem einen, sich so weit wie möglich von Frankfurt zu entfernen.
    Auf den letzten Kilometern waren die Straßen immer schmaler und die Orte immer kleiner geworden. Als er das beleuchtete Schild einer Gaststätte sah, hielt er an. Er schulterte sein Fahrrad und trug es die Treppe hinauf. Er öffnete die Tür zum Gastraum und schob das Rad vor den Tresen. Die wenigen Gäste schauten ihn erstaunt an.
    «Kann ich ein Zimmer haben?», fragte er.
    «Freilich», sagte die Frau, die bereits die Hähne von der Zapfanlage schraubte, um sie im Spülbecken zu reinigen. Sie schaute Tobi an.
    «Kann ich mein Rad mit aufs Zimmer nehmen?»
    «Wenn du mir nichts dreckig machst, kannst du auch dein Rad mitnehmen. Du kannst es aber genauso gut im Flur stehen lassen. Hier klaut niemand was.»
    «Nein», sagte Tobi. «Ich muss es mitnehmen. Und was kostet das Zimmer?»
    «Fünfunddreißig.»
    Tobi zögerte. Obwohl er bislang noch kein Geld ausgegeben hatte, würden ihm danach nur noch fünfzehn Euro bleiben.
    «Gibt es auch ein billigeres?», fragte er.
    Die Wirtin seufzte. Dann lächelte sie. «Wenn du es nicht rumerzählst, geb ich es dir für dreißig. Einverstanden?»
    Sie zwinkerte den beiden letzten Gästen zu, die jetzt aufgestandenwaren, um zu zahlen. Sie rechnete die Zeche zusammen und kassierte, dann schloss sie die Eingangstür von innen ab.
    «Ist es mit Frühstück?», wollte Tobi wissen.
    «Keine Angst, mein Junge», sagte die Frau. «Du musst nicht hungrig aufs Rad steigen.»
    Tobi zog den Brustbeutel unter seinem T-Shirt hervor und nahm den Fünfzig-Euro-Schein heraus.
    «Ich möchte gleich zahlen», sagte er. «Und mein Frühstück hätte ich gerne sofort.»
    «Nee, Junge, bei aller Liebe   … Die Küche ist geschlossen. Frühstück gibt’s von sieben bis zehn. Und jetzt entscheide dich. Ich will nämlich Feierabend machen.»
    Tobi nickte. «Also gut», sagte er. «Ich nehme das Zimmer.»
    Sie pflückte den Geldschein aus seiner Hand und verschwand damit in der Küche. Zwei Minuten später kam sie mit seinem Wechselgeld zurück und stellte einen Teller mit zwei Scheiben Brot und einer kalten Frikadelle auf den Tresen. Dann nahm sie eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank und gab ihm ein sauberes Glas.
    «Das geht aufs Haus», sagte sie. «Sonst wachst du morgen früh auf und bist vor lauter Hunger verdurstet.»
    Tobi verstand, dass er eigentlich hätte lachen sollen. Aber er war zu erschöpft. Er bedankte sich.
    «Wenn du aufgegessen hast, machst du einfach das Licht aus», sagte die Wirtin. «Hier ist dein Zimmerschlüssel. Erster Stock, zweite Tür rechts. Und nun gute Nacht.»
     
    Als Tobi aufwachte, schien die Sonne hell in sein Zimmer. Er schaute auf seine Armbanduhr; es war fast Mittag. Er ließ Wasser einlaufen, putzte sich die Zähne und blieb eine halbe Stunde in der Wanne liegen, bis seine Finger ganz

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