Die Braut im Schnee
der Schaden womöglich nicht wieder gutzumachen.
«Euch ist hoffentlich klar, was es bedeutet, wenn wir Kerstin zu diesem Treffen schicken. Wir werden mit einem großen Aufgebot vor Ort sein müssen. Hinter jedem Baum und hinter jedem Busch muss einer unserer Leute stehen. Alle müssenunsichtbar sein. Und trotzdem nah genug am Geschehen, dass jede Gefahr für Kerstin ausgeschlossen ist. Wir haben wenig Zeit, die Aktion vorzubereiten. Trotzdem bin ich dafür zu warten, bis Sven und Toller ebenfalls hier sind. Ich möchte, dass alle an der Planung beteiligt sind und jeder genau weiß, was er zu tun hat.»
«Was ist jetzt mit der Antwort?», fragte Kerstin Henschel. «Soll ich ihm eine Nachricht schicken, dass ich um 15 Uhr dort sein werde?»
«In Ordnung. Schreib ihm. Die Gefahr kann dadurch nicht größer werden, als sie ohnehin ist.»
DREIZEHN
Marthaler ging in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Er wollte in Ruhe über die Ereignisse der letzten achtundvierzig Stunden nachdenken.
Vorletzte Nacht hatte Kerstin eine entscheidende Entdeckung gemacht. Sie hatte herausgefunden, dass Andrea Lorenz in einem Internet-Forum Nachrichten verschickt hatte, mit denen sie Kontakte zu Männern anbahnte. Kerstin hatte vermutet, dass der Mörder sich ebenfalls in diesem Forum bewegte und hier sein Opfer kennen gelernt hatte. Gleich das erste Treffen der beiden war für Andrea Lorenz tödlich verlaufen.
Dann war beschlossen worden, eine verdeckte Ermittlung durchzuführen. Alle waren dafür gewesen, außer ihm selbst. Er hatte sich dagegen gewehrt, dann aber eingesehen, dass er keinen besseren Vorschlag hatte. Den Versuch zu unterlassen konnte schlimmere Folgen haben, als ihn zu wagen.
Sie hatten gestern am späten Nachmittag unter dem Decknamen Desposada im Casanova-Forum eine erste Nachricht geschrieben. Diese Nachricht schien bei den Männern, die sich dort aufhielten, auf Interesse zu stoßen. Nicht einmal zwölf Stunden später meldete sich ein Mann, der sich Armadillo nannte, um mit Desposada Kontakt aufzunehmen. Sie waren übereinstimmend der Meinung, dass nur der Mörder die Nachricht geschrieben haben konnte. Das hieß, sie hatten nicht einmal zwei Tage gebraucht, um weiter zu kommen als im gesamten viertel Jahr zuvor.
Alles schien wie am Schnürchen zu laufen. Trotzdem spürte Marthaler ein deutliches Unbehagen. Die Welt des Internetsblieb für ihn unwirklich. Das alles war nicht greifbar. Es war eine Welt der Behauptungen, des Scheins, der falschen Namen. Sie glaubten, dem Mörder ganz nah zu sein, aber diese Nähe fand bislang nur auf einem Bildschirm statt. Ein Mann, den sie nicht kannten, tippte ein paar Zeilen in die Tastatur eines Computers. Und das genügte, dass sie in Kürze den gesamten Polizeiapparat, der ihnen zur Verfügung stand, in Bewegung setzen würden.
Aber es war nicht allein das Flüchtige, das ihn beunruhigte. Es gab noch etwas anderes, das ihm Sorgen machte. Er überlegte lange, bis er endlich begriff. Es war die Geschwindigkeit. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass sie nicht einmal 12 Stunden gebraucht hatten, um den Mann, den sie für den Mörder hielten, in die Falle zu locken. Es ging zu schnell. Das war es, was Marthaler an der ganzen Sache nicht gefiel.
Als er die Tür zu seinem Vorzimmer wieder öffnete, saß Elvira bereits an ihrem Platz. Er hatte sie nicht kommen hören. Er hatte die Zeit vergessen. Es war bereits nach halb neun. Er ging ins Sitzungszimmer und sah, dass alle versammelt waren.
«Was ist los? Warum habt ihr mich nicht geholt. Ich habe nicht auf die Uhr geschaut.»
«Deine Tür war zu», sagte Sven Liebmann. «Wir dachten, dass du allein sein willst.»
«Ja, das stimmt», sagte Marthaler. «Ich gehe zu Harry Brötchen holen. Setzt ihr bitte Kaffee auf. Und wenn ich zurückkomme, müssen wir reden.»
«Etwas ist faul an der Sache», sagte Marthaler, als sie nun am Tisch saßen und frühstückten. «Wir haben etwas übersehen. Der schnelle Erfolg hat uns gefallen, deshalb haben wir nicht aufgepasst.»
Die anderen sahen ihn verständnislos an.
«Robert, bitte», sagte Kerstin Henschel. «Sprich nicht in Rätseln. Wir haben lange genug auf dich gewartet. Also komm bitte zur Sache.»
«Das alles geht mir zu rasch. Es ist unglaubwürdig, was hier geschieht. Es läuft zu glatt.»
«Und was soll daran nicht stimmen?», fragte Kai Döring.
«Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es so ist.»
«Nein, Robert, da musst du schon deutlicher werden»,
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