Die Braut im Schnee
gegenüber der Feuerwache. Von dort braucht man vielleicht fünf Minuten bis Eschbach.»
«Gut, dann werde ich jetzt die Usinger Kollegen informieren. Wir treffen uns da um 14 Uhr und starten dann getrennt in Zivilfahrzeugen zu den Klippen.»
Sie befanden sich auf der Bundesstraße 456 und hatten gerade den Ortsausgang von Bad Homburg erreicht, als Marthalers Mobiltelefon klingelte. Es war Kerstin Henschel.
«Ich fahre jetzt los», sagte sie.
«Gut», sagte Marthaler. «Wie geht es dir? Hast du noch schlafen können?»
«Ja. Ohne meinen Wecker wäre ich sicher nicht aufgewacht. Ich bin ruhig. Ich weiß, dass ich mich auf euch verlassen kann», sagte sie.
«Das kannst du, trotzdem sei vorsichtig.»
Um kurz nach 14 Uhr standen vierzehn Beamte in Zivil auf dem Hof neben dem weißen Gebäude der Usinger Polizeistation. Kaum jemand sprach.
Sven Liebmann, der das Gelände bereits erkundet hatte, gab die letzten Anweisungen.
«Wo ist eigentlich Toller?», fragte er. «Ich habe ihn mit eingeplant.»
Niemand wusste etwas. Sie alle hatten ihn bei der Besprechung am Vormittag zum letzten Mal gesehen.
«Vielleicht hat er wieder Magenschmerzen», sagte Manfred Petersen.
«Dann muss es ohne ihn gehen», sagte Liebmann.
Wie auf Kommando stiegen sie alle in ihre Wagen. In Abständen von je ein bis zwei Minuten fuhren sie los.
Hinter Eschbach ging es noch ein Stück bergauf. Links sahen sie die verschneiten Felder. Am Straßenrand standen Birken. Für einen flüchtigen Moment dachte Marthaler, dass bald das erste junge Grün der neuen Blätter aus den Ästen sprießen würde. Dann wäre es schön, hier ein paar ruhige Tage zu verbringen, vielleicht in einem der Ferienhäuser aus Holz, die dort rechts am Hang standen.
Gleich hinter dem Waldrand befand sich auf der linken Seite der Straße ein Parkplatz. Sie stellten ihre Wagen nichtnebeneinander. Sie stiegen aus, ohne miteinander zu sprechen. Sie waren Wanderer oder Spaziergänger, die einander nicht kannten. Auf der anderen Seite der Straße, an einer Bushaltestelle, gabelte sich der Weg. Marthaler wählte den oberen Trampelpfad, der zwischen den Bäumen hindurchführte. Dann sah er die Klippen. Schroff ragte die Felswand auf einer Länge von ungefähr sechzig Metern aus dem Boden hervor. Auch hier war alles mit Schnee bedeckt. «Geht bitte nicht zu nah an die Klippen heran», hatte Sven Liebmann gesagt, «es ist alles verschneit, und die Fußspuren würden uns verraten.»
Marthaler zog sich weiter zwischen die Bäume zurück. Er wählte einen Platz, von dem aus er eine gute Sicht hatte, ohne selbst gesehen zu werden. Dann sah er Liebmann kommen. Der Kollege machte eine letzte Runde, um zu überprüfen, ob die Polizisten sich richtig postiert hatten. Dann war alles bereit. Die Möglichkeit, dass der Täter ihnen entwischte, war so gut wie ausgeschlossen. Trotzdem standen in den umliegenden Ortschaften Streifenwagen bereit, um ihm bei einem Fluchtversuch den Weg abzuschneiden.
Marthaler schaute auf seine Uhr. Es war kurz vor drei. Es war niemand zu sehen. In wenigen Minuten würde Kerstin Henschel kommen. Aber noch vor ihr sollte der Täter die Klippen erreicht haben, der Mann, der sich Armadillo nannte. Von ferne hörte Marthaler ein Motorengeräusch, aber das Auto fuhr weiter. Dann war wieder alles ruhig.
Plötzlich vernahm Marthaler Stimmen aus dem Wald. Es waren die Stimmen von Kindern, die ein Lied sangen. Er fluchte leise vor sich hin. Die Stimmen wurden lauter. Vielleicht war es eine Schulklasse oder ein Kinderheim, das einen Ausflug durch den Schnee machte. Er wollte bereits in Richtung der Stimmen gehen, als er merkte, dass das Lied wieder leiser wurde. Die Kinder entfernten sich.
Es war bereits 15.14 Uhr. Kein Mensch hatte sich denKlippen genähert. Weder Kerstin Henschel noch der fremde Mann. Marthalers Unruhe wuchs von Minute zu Minute. Selbst wenn der Täter beschlossen haben sollte, nicht zu kommen – Kerstin hätte inzwischen längst hier sein müssen. Marthaler überlegte, was zu tun sei. Am liebsten hätte er die ganze Sache auf der Stelle abgebrochen, aber er zwang sich zur Geduld.
Sie warteten. Sie warteten fast eine halbe Stunde, ohne dass etwas geschah. Dann zog sich Marthaler ein Stück weiter in den Wald zurück und wählte Kerstins Nummer. Ihr Telefon war eingeschaltet, aber niemand nahm den Anruf entgegen. Nach zwei Minuten versuchte er es erneut, aber auch jetzt meldete sich niemand.
Als fünfunddreißig Minuten vorüber
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