Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
Vom Netzwerk:
sind», sagte Morell. «Kann es sein, dass ihr ein Leck in der Abteilung habt?»
    Marthaler merkte, wie ihm das Blut in die Füße sackte. Dieser Gedanke, den auch er für einen kurzen Moment gehabt hatte, kam ihm so ungeheuerlich vor, dass er davor zurückschreckte, ihn zu Ende zu führen. Dann schüttelte er nachdrücklich den Kopf.
    «Nein. Es gab niemanden, der wusste, was ich vorhabe. Niemand wusste, dass ich Stefanie Wolfram befragen wollte. Ich selbst habe ihren Namen erst heute Nachmittag erfahren. Und niemand hat auch nur ahnen können, dass ich direkt zu ihr fahren wollte.»
    «Dann bist du wohl aus dem Schneider», sagte Konrad Morell. «Aber es kann immer noch sein, dass der Täter ihren Namen schon vor dir kannte und befürchtete, dass sie irgendwann als Zeugin befragt wird. Jedenfalls solltest du davon ausgehen, dass es sich hier um ein und denselben Mörder handelt.»
    Marthaler nickte. Er wurde den Gedanken nicht los, dass er Mitschuld haben könnte an dem Tod der unbekannten Mieterin in Stefanie Wolframs Haus, vor dem sie jetzt wieder angekommen waren. Dann fiel ihm etwas ein. «Gib mir dein Telefon», sagte er zu Morell. «Ich muss etwas überprüfen.» Er kramte die Visitenkarte hervor, die ihm Professor Wagenknecht gegeben hatte, und wählte dessen Büronummer. Die Sekretärin meldete sich.
    «Wo ist der Professor?», fragte er. «Ich muss ihn dringend sprechen.»
    «Das tut mir Leid. Er hält gerade sein großes Seminar.»
    «Seit wann?», fragte Marthaler. «Wie lange unterrichtet er schon?»
    «Seit fast drei Stunden. Kann ich ihm etwas ausrichten? Soll er Sie zurückrufen?»
    «Nein», sagte Marthaler. «Danke. Es hat sich schon erledigt.»
    Er rieb sich die Augen. Er merkte, dass er müde wurde und dass er bald etwas essen musste. Die Dämmerung setzte allmählich ein. Marthaler schaute auf seine Uhr und bekam einen Schrecken.
    «Verdammt», sagte er. «Ich muss los. Ich denke, wir telefonieren morgen Vormittag.»
    Er war um 19   Uhr mit Tereza auf dem Lohrberg verabredet. Jetzt war es kurz nach halb sechs. Wenn er es noch schaffen wollte, zu duschen und sich umzuziehen, musste er sich beeilen. Er durfte sie auf keinen Fall ein weiteres Mal versetzen. Und er wollte auch nicht zu spät kommen.
    Er war schon auf dem Weg zu seinem Wagen, als Morell ihn noch einmal zurückrief. «Hier», sagte er und hielt Marthaler erneut sein Mobiltelefon entgegen. «Für dich. Anscheinend kann sich die Frankfurter Polizei nicht mal eigene Handys leisten.»
    Marthaler meldete sich. Es war seine Sekretärin. «Elvira», sagte er, «ich muss sofort losfahren. Mach es kurz. Ich habe es eilig.»
    «Hast du nicht!», erwiderte sie.
    «Was soll das heißen?»
    «Tereza hat angerufen. Sie kann heute Abend nicht.»
    «Wieso denn das?»
    «Robert, woher soll ich wissen, warum sie nicht kann? Sie wollte dich sprechen. Sie hat gesagt, dass sie heute Abend keine Zeit hat und dass sie sich wieder meldet. Ich richte dir das einfach nur aus. Alles andere musst du selbst mit ihr klären.Und wenn du mich fragst, hat sie vollkommen Recht, das mit euch erst mal auf ganz kleiner Flamme zu kochen.»
    «Ja, ich verstehe. Entschuldige.»
     
    Aber er verstand gar nichts. Er wusste auch nicht, wofür er sich bei seiner Sekretärin entschuldigt hatte. Er setzte sich in den Daimler und fuhr los. Hinter Arheilgen bog er ab auf die Bundesstraße. Im Autoradio wurde Carl Orffs «Carmina Burana» gespielt. Unwillig schaltete Marthaler ab. Er hatte das Werk nie gemocht. Der Gestus war ihm zu groß, zu laut, zu angeberisch. Und er wurde die Vorstellung nicht los, dass diese Musik in der Nazizeit auch deshalb ein so großer Erfolg gewesen war, weil sie gut in diese Jahre gepasst hatte.
    Als er über die A 661 fuhr, sah er im Rückspiegel, dass ihm die nachfolgenden Fahrzeuge Zeichen mit der Lichthupe gaben. Kurz vor Offenbach scherte er nach rechts aus und hielt auf einem Parkplatz. Erst jetzt merkte er, dass er vergessen hatte, das Licht seines Wagens anzumachen. Er stellte den Motor ab. Er hatte das Gefühl, keinen Meter mehr weiterfahren zu können. Ihm wurde alles zu viel. Er wusste nicht, über was er zuerst nachdenken sollte. Er stieg aus, um ein paar Meter zu laufen. Seine Probleme mit Tereza, der immer komplizierter werdende Fall, sein körperlicher Zustand – all das ließ ihn zum ersten Mal in seinem Leben wünschen, er wäre ein anderer. Sooft er auch in den vergangenen beiden Jahrzehnten seinen Beruf verflucht hatte, noch nie

Weitere Kostenlose Bücher