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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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Beine sah. Der Mann gähnte.
    «Kennen Sie Herrn Drewitz?», fragte Marthaler. «Wissen Sie, wo er ist?»
    «Ich kenne keinen, und ich will keinen kennen. Ich will bloß in Ruhe schlafen. Und wenn Sie jetzt weiter Lärm machen, hole ich die Polizei.»
    «Ist schon da», sagte Marthaler und zeigte seinen Ausweis. «Wären Sie jetzt bitte so freundlich, mir zu antworten.»
    Wieder riss der Mann seinen Mund zu einem ausgiebigen Gähnen auf. «Habe ich doch schon. Ich kenne ihn nicht. Ich wohne erst seit zwei Monaten hier. Bin ihm vielleicht zehnmal begegnet. Wir nicken uns zu, das ist alles. Wenn sein Name nicht an der Tür stünde, wüsste ich nicht mal, wie er heißt. Was glauben Sie denn, wo Sie hier sind? In diesen Häusern wird nicht mit der Nachbarschaft gekuschelt.»
    «Haben Sie eine Ahnung, was Herr Drewitz arbeitet?»
    «Nee. Wir verlassen nur manchmal zur selben Zeit das Haus. Ich arbeite nachts; er vielleicht auch. Darf ich jetzt weiterschlafen?» Der Mann drehte sich um und wollte gerade wieder in seiner Wohnung verschwinden.
    Marthaler rief ihn noch einmal zurück. «Noch etwas! Sollten Sie Herrn Drewitz begegnen, sagen Sie ihm bitte nicht, dass die Polizei nach ihm gefragt hat.»
    Der Mann zuckte mit den Achseln. Er brummte etwas Unverständliches. Dann schloss er seine Wohnungstür.

SIEBZEHN
    Marthaler fluchte. Er lag in der Badewanne und hatte toter Mann gespielt. Er streckte gerade wieder den Kopf aus dem Wasser, als er es klingeln hörte. Er wollte nicht gestört werden. Er wollte an Tereza denken und sich auf den gemeinsamen Abend freuen.
    Aber das Klingeln hörte nicht auf. Er stieg aus der Wanne, lief durch den Flur und drückte auf den Öffner. Dann ging er zurück. Weil er seinen Bademantel nicht fand, wickelte er sich ein großes Handtuch um die Hüften.
    Als er die Wohnungstür öffnete, hätte sein Erstaunen nicht größer sein können. Vor ihm stand Tereza und lächelte ihn an. «Oh», sagte sie, «hat die Polizei eine neue Uniform?»
    Er war zu überrascht, um etwas sagen zu können. Er stotterte: «Tereza, du   … ich   …»
    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. «Was ist? Darf ich reinkommen? Oder störe ich?»
    Er stand noch immer wie erstarrt vor ihr. «Nein, Entschuldigung, ja. Ich freue mich. Ich war nur gerade in der Wanne.»
    Endlich gab er den Weg frei und ließ sie in die Wohnung.
    «Geh du wieder in Bad. Ich mache Musik und trinke etwas. Wenn ich darf.»
    «Ja, ich habe nicht mit dir gerechnet   … Es dauert nicht lange. Ich wasche mir nur noch rasch die Haare.»
    «Los jetzt!», sagte sie. «Du tröpfelst. Die Boden ist schon ganz nass.»
    «Ja», sagte er und sah, dass sich um seine Füße herum kleine Pfützen gebildet hatten. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger schob sie ihn zurück ins Badezimmer. Er ließ das Handtuchfallen, stieg wieder in die Wanne und seifte sich die Haare ein. Er hörte, wie sie sich im Wohnzimmer an der Musikanlage zu schaffen machte. Er lauschte einen Moment, dann erkannte er das Stück. Es war der erste Satz von Mozarts Sinfonie Nummer 33.   Er lächelte. Er hatte diese Musik immer gemocht, aber schon lange nicht mehr gehört. Es war die Aufnahme mit dem Prager Kammerorchester unter Charles Mackerras, die ihm Tereza geschenkt hatte, als sie von einem Besuch bei ihren Eltern zurückgekehrt war. Sie hatte ihm erzählt, dass sie die Sinfonie vor vielen Jahren als Schülerin mit demselben Dirigenten und denselben Musikern in ihrer Heimatstadt gehört hatte.
    Die Tür zum Badezimmer war nur angelehnt gewesen. Jetzt wurde sie aufgestoßen. Tereza stand vor ihm. Sie war nackt. In jeder Hand hielt sie ein Glas mit Rotwein. Eins davon reichte sie ihm. Dann setzte sie sich auf den Rand der Badewanne und prostete ihm zu.
    «Was ist?», sagte sie. «Du lachst wie eine Honigpferd.»
    «Du auch», sagte er. «Aber wir lachen nicht, wir lächeln. Und es heißt Honigkuchenpferd.»
    «Jawoll, mein Führer!», sagte sie. «Auf was wollen wir trinken?»
    «Auf uns», sagte Marthaler. «Ich finde, wir haben es verdient.»
    «Ja», antwortete sie, «das würde mir schön gefallen.»
    Als sie getrunken hatten, nahm sie ihm seinen Wein wieder ab und stellte beide Gläser auf die Waschmaschine. Sie setzte sich zurück auf den Wannenrand. Sie ließ ihre rechte Hand ins Wasser gleiten und kniff ihn in den Bauch.
    «Oh», sagte sie, «das ist aber eine Menge Honigpferd.»
    Bevor er etwas erwidern konnte, hatte sie ihre Arme um seinen Hals

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