Die Braut im Schnee
Telefon. «Ich bin nicht da. Und jetzt lege ich auf.»
Im selben Moment begriff er, dass es Toller war, der sich für die Störung entschuldigte. Er bat um zehn Sekunden Aufmerksamkeit, dann solle Marthaler entscheiden, ob er weiter zuhören wolle oder nicht.
Marthaler verstand schnell, dass es wichtig war. Er bat Tereza um einen Moment Geduld. Dann stand er auf und suchte sich im hinteren Ende des Restaurants einen Tisch, der gerade frei geworden war. Der Kellner hatte die schmutzigen Gläser und Kaffeetassen noch nicht abgeräumt.
«Zuerst will ich wissen, wie Sie herausgefunden haben, wo ich bin.»
«Ich habe herumtelefoniert», sagte Toller. «Und Carlos Sabato meinte, ich soll es im ‹Gattopardo› versuchen.»
«Gut», sagte Marthaler. Dann ließ er Toller reden.
«Ich bin in Oberrad. Am Main. Dort, wo die Clubs der Ruderer ihre Vereinslokale haben. Nachdem wir uns vorhin getrennt hatten, habe ich mich noch ein wenig umgehört. Ich habe herausgefunden, dass der Fotograf Helmut Drewitz als Aushilfskoch in einem dieser Lokale arbeitet. Es heißt ‹Neptun-Klause›, dort halte ich mich gerade auf. Die ‹Neptun-Klause› ist nur gut fünf Minuten Fußweg von Gabriele Haslers Haus entfernt. Und von seiner Wohnung aus würde Drewitz vielleicht eine Viertelstunde brauchen, um zum Tatort zu gelangen.»
«Gut», sagte Marthaler. «Wenn ich den Stadtplan richtig im Kopf habe, heißt das also, dass Drewitz jedes Mal am Haus unseres Opfers vorbeikommt, wenn er zu seiner Arbeitsstelle geht oder wenn er von dort nach Hause will.»
«Jedenfalls könnte er diesen Weg nehmen», sagte Toller. «Er hat sich einen anderen Vornamen gegeben. Er nennt sich bei seinen Kollegen und den Gästen nicht Helmut, sondern Arthur Drewitz. Niemand hier scheint etwas davon zu wissen, dass er ein bekannter Fotograf war und dass er später verurteilt worden ist. Es hat mich stutzig gemacht, dass er hier unter falschem Namen arbeitet.»
«Das wundert mich nicht», erwiderte Marthaler. «Mit einer solchen Vergangenheit würde ich auch nicht wollen, dass man erfährt, wer ich bin.»
«Mag sein», sagte Toller. «Aber das ist noch nicht alles. Ich habe mit einem LK W-Fahrer gesprochen, der hier regelmäßig zum Essen herkommt. Er hat sich vor ein paar Tagen mit Drewitz unterhalten. Dabei ging es auch um den Mord an Gabriele Hasler.»
Marthaler ärgerte sich über Tollers neuerlichen Alleingang, trotzdem war er begierig auf Einzelheiten. Während er den Hörer an sein Ohr presste, zerdrückte er mit dem Daumen ein Stück trockenes Brot auf der Tischdecke.
«Wer hat die Sprache auf dieses Thema gebracht?», wollte er von Toller wissen. «Das ist wichtig: War es Drewitz oder war es der Kraftfahrer?»
«Der Mann konnte sich nicht mehr genau erinnern. Er meint, er sei es womöglich selbst gewesen, der angefangen habe, darüber zu reden. Die Zeitungen seien an dem Tag voll davon gewesen.»
«Weiß er noch, was Drewitz zu dem Thema gesagt hat?»
«Allerdings. Es ging darum, wie man die Tote aufgefunden hat. Dass sie gekniet hat, und dass ihr Hintern …»
«Ich weiß, wie sie ausgesehen hat», sagte Marthaler, «ich will wissen, was Drewitz und dieser Kraftfahrer gesprochen haben.»
«Der Mann sagt, sie hätten darüber gescherzt.»
«Gescherzt?»
«Ja.»
«Weiter!», drängte Marthaler.
«Jedenfalls kam dabei heraus, dass Drewitz offensichtlich nicht nur als Koch arbeitet. Er scheint auch seine alten Aktivitäten wieder aufgenommen zu haben.»
«Was meinen Sie mit seinen alten Aktivitäten? Fotografiert er wieder?»
«Wahrscheinlich, ja. Jedenfalls hat er dem Mann Aufnahmen angeboten.»
«Was für Aufnahmen? Mensch, Toller, reden Sie, verdammt nochmal!»
«Er scheint sich weiterentwickelt zu haben. Scheint sich nicht mehr nur auf Kinderspielplätzen und in Schwimmbädern rumzutreiben. Er bot dem Mann Material an, das er als ‹sehr hart› bezeichnete. Drewitz bezog sich ausdrücklich darauf, was mit Gabriele Hasler geschehen ist. Er sagte, er könne ‹tonnenweise› Bilder besorgen, auf denen solche Szenen zu sehen seien.»
«Tonnenweise?»
«Ja, das ist angeblich das Wort gewesen, das Drewitz benutzt hat.»
«Und noch etwas», sagte Toller. «Der LK W-Fahrer hat Drewitz heute zufällig wiedergesehen. Heute Nachmittag, zu der Zeit, als wir bei ihm zu Hause geklingelt haben.»
«Und?»
«Der Mann war gerade im Osthafen. Er ist mit seinem Lastwagen vom Zollamt in der Lindleystraße gekommen, als Drewitz ein kleines Haus
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