Die Braut im Schnee
Marthaler. «Und wo soll ich hinfahren? Soll ich über den Fluss kommen oder nicht? Beides kann ein Fehler sein.»
«Ich weiß nicht. Wenn er die Richtung beibehält, landet er irgendwann in Offenbach. Vor der Kaiserleibrücke gibt es keine Möglichkeit, den Main zu überqueren.»
«Gut», sagte Marthaler. «Ich fahre bis zur Alten Brücke. Dort warte ich, bis wir wissen, was er macht.»
Dann trat er erneut aufs Gas. Am Scheffeleck überfuhr er noch eine rote Ampel und musste kurz darauf abrupt bremsen – das Handy rutschte ihm weg und flog auf den Boden. Um ein Haar wäre er mit der U-Bahn zusammengestoßen, die hier ihre Röhre verließ und über der Erde fuhr. Er ignorierte die wütenden Gesten des Fahrers und raste weiter. Das Schlimmste, was passieren kann, dachte er, ist, dass ein Streifenwagen mich stoppt. Dadurch würde ich wertvolle Zeit verlieren.
Als er Tollers Stimme hörte, beugte er sich zur Seite und angelte nach dem Telefon. Endlich bekam er es zu fassen. «Hier bin ich, was gibt’s?»
«Er ist stehen geblieben. Könnte sein, dass er etwas gemerkt hat. Ich muss ihm mehr Vorsprung lassen. Jetzt schauter sich um. Aber er kann mich nicht sehen. Ich stehe hinter einem Baum.»
Je leiser Toller sprach, desto mehr senkte auch Marthaler unwillkürlich seine Stimme. «Seien Sie vorsichtig, Toller. Hören Sie! Gehen Sie kein Risiko ein!»
«Schon gut, er geht weiter. Er scheint mich nicht entdeckt zu haben.»
«Ich bin jetzt am Main. Was soll ich machen? Rüberfahren oder nicht?»
«Ja. Fahren Sie rüber. Versuchen Sie so schnell wie möglich ins Kaiserleiviertel zu kommen. Ich wüsste nicht, wo er sonst hinkönnte.»
Mit fast hundert Sachen raste Marthaler über das Deutschherrnufer. Auf der rechten Seite sah er die nächtlichen Lichter von Oberrad. Jetzt hupte er selbst, um die vor ihm fahrenden Wagen zur Seite zu drängen. Er hatte gerade das Haus von Gabriele Hasler passiert, das dunkel an den Bahngleisen lag, als Toller sich erneut meldete.
«Stopp, Marthaler. Stopp! Wo sind Sie? Das Akku von meinem Handy macht gleich schlapp. Bleiben Sie stehen!»
«Was ist? Was ist passiert? Ich muss ganz in eurer Nähe sein. In zwei Minuten habe ich Kaiserlei erreicht!»
«Nein, verdammt. Bleiben Sie stehen! Der Kerl haut über den Main ab. Er ist auf die Staustufe geklettert. Kommen Sie her! Beeilen Sie sich, sonst haben wir ihn verloren.»
Marthaler überlegte fieberhaft.
«Nein, Toller.» Marthaler schrie jetzt fast vor Aufregung. Er hatte den Wagen auf der rechten Spur gestoppt und die Warnblinkanlage eingeschaltet. «Kommen Sie hoch zur Straße. Ich warte auf Sie! Wir versuchen, ihm den Weg abzuschneiden. Wenn er in die Lindleystraße will, haben wir eine Chance, ihn zu erwischen.»
Marthaler steckte das Handy in die Manteltasche und ließden Motor laufen. Er wollte gerade aussteigen, um nach Toller Ausschau zu halten, als er ihn hundert Meter weiter hinten in der Dunkelheit auf die Straße laufen sah. Marthaler hupte, um den Kollegen auf sich aufmerksam zu machen.
Schwer atmend sackte Toller auf den Beifahrersitz. Die Wagentür war noch nicht ins Schloss gefallen, als Marthaler schon wieder anfuhr. Er sah, dass der andere seine Dienstwaffe in der Hand hielt.
«Was wollten Sie mit der Pistole?», fragte er.
«Nichts. Aber keiner weiß, ob der Typ bewaffnet ist. Und ich habe keine Lust, mich über den Haufen schießen zu lassen.»
Marthaler nickte.
«Ich hätte ihm folgen sollen», sagte Toller. «Der Mistkerl hat den Weg über die Schleuse genommen. Damit habe ich nicht gerechnet. Jetzt ist er uns entwischt.»
«Nein», sagte Marthaler, «ohne Sprechkontakt wären wir aufgeschmissen gewesen. Vielleicht haben wir Glück. Es ist besser so.»
Wieder fuhren sie über den Fluss. Kaum fünf Minuten später hatten sie die Hanauer Landstraße erreicht und bogen nach links in das Gebiet des Osthafens. Obwohl auch hier die meisten Betriebe längst Feierabend gemacht hatten, waren die Eingänge vieler Gebäude beleuchtet. Unter den Laternen am Straßenrand parkten LKW. Manche der Führerhäuser waren beleuchtet.
«Und jetzt?», fragte Toller. «Was sollen wir machen? Der Osthafen ist groß. Wie sollen wir Drewitz hier finden? Der Mann hat von einem kleinen Haus gesprochen, aus dem er ihn hat kommen sehen.»
«Und davon, dass er selbst gerade vom Zollamt gekommen ist. Das sind zwei Hinweise. Also fahren wir zum Zollamt.»
Sie fuhren die Lindleystraße entlang, aber außer dem Wageneines privaten
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