Die Braut von Rosecliff
bei und suchte Zuflucht im Wald. Dort war sie allein, dort konnte sie sich ausweinen… und vielleicht würde ihr einfallen, wie sie Josselyn ret ten könnte.
Doch als sie die alte Eibe erklimmen wollte, die ihr immer als Hochsitz diente, musste sie feststellen, dass sie heute nicht ei n mal im Wald allein war. Ein Junge mit schmutzigem Gesicht hockte im Geäst und beobachtete sie neugierig.
»Verschwinde!«, schrie Rhonwen. »Das ist mein Baum!«
»Hast du ihn gepachtet?«, antwortete der Junge spöttisch. »Oder gehört dir vielleicht der ganze Wald?«
Außer sich vor Wut, kletterte sie von Ast zu Ast. Sie würde diesen unverschämten Bengel von ihrem Baum vertreiben, koste es, was es wolle. Aber er ließ sich nicht einschüchtern, obwohl er kleiner und jün ger als sie war. Behende wie ein Eic h hörnchen kletter te auch er immer höher.
»Na, was ist?«, höhnte er zu allem Übel. »Du bist langsam wie eine Schnecke!«
»Ich will dir nur nicht zu nahe kommen, weil du so stinkst«, konterte Rhonwen und rümpfte die Nase. »Hast du noch nie etwas davon gehört, dass man sich gelegentlich waschen muss? Und welche Mutter lässt ihr Kind in solchen Lumpen herumla u fen?«
»Meine Mutter lebt nicht mehr.«
»Na und – mein Vater lebt auch nicht mehr. Trotz dem stinke ich nicht so wie du. Und was hast du über haupt hier zu suchen? Du bist nicht aus Carreg Du.«
»Ich bin Rhys ap Owain aus Afon Bryn. Ich bin zusammen mit den Soldaten hierher gekommen. Und wer bist du?«
Rhonwen starrte ihn entgeistert an. »Ap Owain? Bist du der Sohn des Mannes, dem es egal ist, ob Jos selyn verletzt wird?«
Der Junge spuckte auf den Boden und wischte sich den Mund mit seinem schmutzigen Ärmel ab. »Ich hoffe, dass sie kr e piert!«
Mit einem Wutschrei packte Rhonwen ihn am Bein und zerrte mit aller Kraft daran. Darauf war Rhys nicht gefasst gewesen. Er verlor das Gleichgewicht, versuchte vergeblich, sich an e i nen anderen Ast zu klammern, schlug hart auf dem Boden auf und blieb regungslos liegen.
Rhonwen zitterte am ganzen Leibe. War er tot? Das hatte sie nicht gewollt…
Vorsichtig kletterte sie von dem Baum hinab und ging zögernd auf ihn zu. Sie musste sich vergewissern, ob sie wir k lich einen Menschen umgebracht hatte.
Ihre Schuldgefühle verflogen sofort, als sie sah, dass seine Brust sich hob und senkte. Er lebte! Aber sein Vater wollte dem Engländer die Hand abhacken, und dessen Bruder würde sich an Josselyn rächen, würde ihr vielleicht auch eine Hand abhacken oder sie sogar töten…
Der Junge stöhnte und hustete. Rhonwen fasste einen En t schluss. Sie musste genauso tapfer wie Jos selyn sein. Wenn sie Rhys gefangen nahm, hätte auch sie eine Geisel…. Vielleicht wü r de sein Vater dann mit sich reden lassen…
19
Es war sehr spät, als die Waliser endlich Kontakt mit Rand aufnahmen. Drei Männer mit Fackeln stiegen den Hügel hinauf und blieben beim dornen stehen, um auf die Engländer zu wa r ten.
Die Dunkelheit war schon vor Stunden hereinge brochen, der Nordwind heulte und kündigte ein Un wetter an. Normale r weise lagen die Engländer um diese Zeit in tiefem Schlaf, doch heute waren alle Sol daten in Alarmbereitschaft, obwohl Rand ihnen nicht gesagt hatte, was passiert war.
Er hatte nur Osborn eingeweiht, und obwohl sein Freund e benso wie er selbst vor Wut kochte, waren sie zur Untätigkeit verurteilt gewesen. Als sie jetzt Seite an Seite zum dornen gi n gen, befürchtete Rand das Schlimmste.
Er erkannte Clyde und Dewey, den Dolmetscher, doch sein Hauptinteresse galt dem dritten Mann, der jung und kräftig war, dessen Augen angriffslustig funkelten und dessen schm a le Lippen höhnisch ver zogen waren. Das musste Owain ap M a doc sein, Jos selyns Verlobter, vor dem ihr graute.
»Wir sind hier, um Euch einen Austausch vorzu schlagen«, sagte Clyde, und Dewey übersetzte.
»Woher soll ich wissen, dass Ihr meinen Bruder wirklich in Eurer Gewalt habt?«, fragte Rand.
Clyde hob erstaunt die Brauen. »Ihr wisst schon Bescheid? Wer hat Euch informiert?«
»Das spielt jetzt keine Rolle. Das Ganze könnte aber auch nur ein geschicktes Täuschungsmanöver sein.«
Ohne Vorwarnung warf Owain ihm etwas zu – ein kleines verknotetes Tuch, das Rand mit einer Hand auffing. »Er hat in etwa Eure Größe, ist aber nicht so kräftig gebaut.« Dewey übersetzte Owains Worte. »Sein Haar ist etwas heller. Knotet das Tuch auf, dann werdet Ihr sehen, dass wir nicht blu f fen.«
Rand hatte Angst, aber
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