Die Braut von Rosecliff
so verwirrt g e we sen. »Du meinst also, dass sie Sir Lovell heir a ten soll te? Aber das wird doch unweigerlich zu einer Katastrophe führen.«
Sie hatten jene Stelle erreicht, wo die Klippen steil zur Bucht abfielen, wo nur noch Ginster und Heide kraut wuchsen. Von hier aus konnte man in der Ferne das stürmische graue Meer sehen, und rechts ragte Rosecliffe empor – jener schwarze Fe l sen, auf dem die Engländer ihre Festung errichten wollten. Jo s selyn atmete die kalte salzige Luft in vollen Zügen ein und ve r suchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Sogar wenn ich es Gladys überlasse, selbst über ihre Z u kunft zu entscheiden, bleibt immer noch die Frage, was ich tun soll – und sag jetzt bitte nicht, dass auch ich einen Engländer heiraten sollte! Newlin, hilf mir!« Sie hob die Arme und ließ sie hilflos wieder sin ken. »Hilf mir! Ich bin völlig verwirrt.«
Der Barde blickte lange in die Ferne und scha u kel te vor und zurück, doch schließlich wandte er sich ihr zu. »Der englische Lord stellt viele Fr a gen.«
Der englische Lord? Josselyn wollte nicht über Ran dulf Fitz Hugh reden. Sie wollte die Existenz dieses Mannes vergessen, aber das war natürlich nicht mög lich, denn ihn traf die Schuld an ihrem Unglück. Wäre er nicht nach Carreg Du geko m men, müsste sie Owain nicht heiraten! »Was für Fragen stellt er denn?«
»Fragen über die Nichte von Clyde ap Llewelyn.«
Josselyn schnappte nach Luft, einer Panik nahe. Weshalb er sich für Clydes Nichte interessierte, lag auf der Hand: weil sie eines Tages jene Länd e reien erben würde, die er für sich und seinen König bean spruchte. »Weiß er, dass ich diese Nichte bin?«
»Noch nicht«, antwortete Newlin. »Aber er wird es bald h e rausfinden. Sobald er unsere Sprache besser beherrscht, braucht er nur eine der Frauen zu fragen, die für ihn arbeiten.« Auf die Tatsachen musste er Jos selyn nicht extra hinweisen: sie war es, die Fitz Hugh Unterricht gab, und sie war es auch, die andere Frau en überredet hatte, für ihn zu arbeiten!
Eine der schwarzen Wolken am westlichen Hor i zont schien sich über sie zu senken und ihr die Luft zum Atmen zu rauben. »Wenn er es herausfindet, wird er bestimmt verhi n dern wollen, dass ich jeman den heirate, der ihm gefährlich werden könnte.«
»Höchstwahrscheinlich.«
»Dann darf ich ihm wohl keinen Unterricht mehr geben und sollte dem Lager in Zukunft fernble i ben.«
»Dein Onkel wird dich zweifellos bald fragen, was du in B e zug auf Owain entschieden hast.«
»Ja, ich weiß«, seufzte Josselyn und setzte sich auf einen fl a chen Stein. Newlin folgte ihrem Beispiel, hüllte sich jedoch zu ihrer großen Enttäuschung in Schweigen. Kalte Windstöße fe g ten über die Klippen: letzte vergebliche Versuche des Winters, den Frühling aufzuhalten. Deprimiert dachte sie, dass mit dem Anbrach einer neuen Jahreszeit auch für sie ein neuer Leben s abschnitt beginnen würde. Das unschuldige Mädchen, das sie so lange gewesen war, musste die entscheidende Schwelle ü berschreiten und zur Frau werden, auch wenn dieser Schritt sehr schmer z haft war…
»Ich werde dich jetzt verlassen«, sagte Newlin, und gleich darauf war sie allein und fror noch mehr als zuvor. Sie schlang ihre Arme um die Beine, stützte ihr Kinn auf die Knie, blickte aufs Meer hinaus und dach te an Owain.
Vielleicht hatte er sich ja verändert… Vielleicht war er zu e i nem anständigen Mann herangereift… Unge klärt blieb freilich, wie Tomas ums Leben gekommen war. Niemand hatte Owains Schuld nachgewiesen, aber sie konnte sich noch gut an die grimmige Miene ihres Onkels erinnern, als Dewey seinen Ve r dacht äußerte. Wie sollte sie einen Mann heiraten, den sie insg e heim für einen Mörder hielt?
»Josselyn?«
Zum zweiten Mal an diesem Nachmittag zuckte sie erschrocken zusammen, und jetzt hatte sie allen Grund dazu, denn es war nicht Newlin, der ihren Namen gerufen hatte. Diese Stimme war viel tiefer, der Schatten, den der Neuankömmling warf, war viel länger. Noch bevor sie den Kopf hob, wusste sie, dass es Randulf Fitz Hugh war, der dicht neben ihr stand. Er musste sich lautlos angeschlichen haben, sonst hätte sie ihn doch bestimmt gehört…
»Geht es dir nicht gut? Du siehst so besorgt aus«, erkundigte er sich höflich, doch seine Augen hatten den hungrigen Ausdruck eines Mannes, der eine Frau begehrt. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn bei solchen Blicken ertappte, aber das hatte ihn bisher nicht daran
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