Die brennende Gasse
« Aber das schien hochfliegend. Statt dessen schloß sie: » Sie könnte ihn besiegen. «
» Weniger als zwei Prozent tun das. «
» Caroline hat die Beulenpest überlebt, Michael, sie ist sehr zäh. Und damals hatte sie längst nicht so viel Grund, am Leben zu bleiben wie jetzt. «
Er seufzte müde und resigniert. » Dann gehe ich und rede mit ihr. «
Janie schaute auf die Wanduhr. » Aber mach schnell. «
Er schleppte sich zur Tür.
» Und, Michael … «, schickte Janie ihm nach.
Sein Gesichtsausdruck, als er sich umdrehte, war schiere Trauer.
» Sag nichts über ihren Zeh – bitte – noch nicht. «
Das letzte, was Janie tat, bevor sie abfuhren, war, Carolines Finger und Zeh in undurchlässige Biosafe-Verbände zu wickeln. Am Ende stieg Michael, als alles andere fertig war und seine gesamte Ausrüstung im Kofferraum von Janies Volvo lag, als der fällige Tribut in seinen Overall.
Man weiß ja nie, wozu er auf der Fahrt nützlich sein könnte.
Als er die Tür des Hauses schloß, den Helm noch unter dem Arm, warf er noch einen Blick auf die Dinge ringsum, die er und Caroline in ihrer kurzen, aber glücklichen Ehe angesammelt hatten. Mit einem vagen Gefühl der Zerknirschung erkannte er, wie überflüssig alles erschien, wenn jedem wieder jederzeit die Stunde schlagen konnte.
KAPITEL 35
W as de Chauliac sah, als er der Demonstration der größten neuen Weisheit seines Lebens zuschaute, war nicht die sichere Arbeit eines Meisters der Wissenschaft, sondern statt dessen die hektische, unsicher wirkende Behandlung eines kleinen, erschrockenen Kindes, dessen Tod wahrscheinlicher war als sein Überleben, durch einen knochendürren Juden. An seiner Seite wirkte eine junge Frau mit, eine Witwe von noch nicht zwanzig Jahren, deren Leid schon jetzt alle Vorstellungen überstieg und nur noch schlimmer werden konnte. Und obwohl das Kind, das sie behandelten, die junge Frau unter anderen Umständen » Tante « genannt hätte, bestand für diese beiden Helfer keine familiäre Verpflichtung, den verängstigten Jungen von der Pest zu befreien. Der Franzose wußte, daß Alejandros Schuldgefühle, weil er die junge Gräfin getäuscht hatte, unmöglich ausreichen konnten, sich für ihren kranken Sohn derartig einzusetzen. Das konnte nur die unbegreifliche Ehre dieses Mannes sein, die Liebe, die er zu seiner Kunst empfand, und sein Wunsch, sie redlich auszuüben. Mit Sorgfalt und Zärtlichkeit wuschen, säuberten und trösteten er und seine Tochter den Kleinen, selbst als sie ihm jene gräßliche Flüssigkeit in den Mund zwangen – eine Kur, verschrieben von der Weisheit einer alten Frau, die den Arzt gelehrt hatte, das Notwendige zu erfüllen.
Aus der entfernten Ecke, in die Alejandro ihn zu seiner eigenen Sicherheit verbannt hatte, sah er erstaunt zu, wie Vater und Tochter Seite an Seite arbeiteten, ohne sichtbare Rücksichtnahme auf ihr eigenes Wohlergehen. Wie man sah, gönnten sie sich lange keinen Schlaf. Sie mischten ihren scheußlichen Trank in einem bestimmten Verhältnis – zwei Löffel eines ekligen grauen Pulvers aus einem Leinensäckchen auf eine Handvoll von der geheimnisvollen Brühe. Zu bestimmten Zeiten, von denen sie nie abwichen, flößten sie dem schreienden Kind die Dosen gewaltsam ein.
In den Zeiten, in denen die Schmerzen des Jungen erträglich schienen und er still lag, setzte sich der Arzt zu ihm und erzählte ihm Geschichten, Geschichten eines längst verstorbenen Gefährten, der ruhmreiche Schlachten geschlagen, durchgehende Pferde gezähmt, ritterliche Duelle bestanden und glorreiche Schwertkämpfe ausgefochten hatte – lauter Dinge, die diesen kleinen Prinzen eines Tages auch erwarteten, wenn er überlebte.
Das Mädchen wird eine gute Mutter werden, dachte de Chauliac bei sich. Und mit zunehmendem Respekt vor dem Juden, der seine Gedanken jahrelang so nachhaltig beschäftigt hatte, gestand er sich ein, daß das Mädchen gut erzogen war. Noch etwas, das der Mann hervorragend verstand.
Als das Fieber des Knaben endlich sank und seine Beulen zu schrumpfen begannen, erfüllte de Chauliac eine seltsame Freude, die er bis dahin noch nicht kannte. Es war nicht das Triumphgefühl, das er gewöhnlich verspürte nach dem Sieg über eine tobende Krankheit, sondern ein sehr schlichtes Glück: Das Kind würde überleben, um seiner Mutter anzuhängen und seinem Vater zu folgen – mit tiefer Verehrung blickte er auf diesen rätselhaften Wanderer und seine geniale Heilkunst. Ja, er empfand wahre
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