Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
nicht. Erst nach einer ganzen Weile wendet er sich zu mir.
» Ach, Fanny«, sagt er schon wieder, und dann seufzt er so tief, als ginge es mit ihm darnieder. » Und du bleibst jetzt echt da hier?«
Mich durchfährt ein Stich, und mir fällt auf, dass ich in der ganzen Aufregung nie bedacht habe, dass ich ja nicht nur in Berlin ankomme, sondern im selben Moment auch von daheim verschwinde. Und dass das für den Papa heißt: Er bleibt allein im fernen Mingharting, wo ihn seine Frau bloß ärgert und seine Mutter plötzlich will, dass er wieder im Wirtshaus hilft. Und Quirin, immerhin Urheber der ganzen Chose, dankt ihm nicht einmal dafür. Außer mit einem hübschen Sümmchen Lizenzgebühren natürlich, plus der garantierten Abnahme einer ordentlichen Menge an Schnäpsen und Würsteln, aber das interessiert bloß die Mama, den Papa nicht.
» Des werd scho alles. Wirst sehen. Sei ned traurig«, sage ich und knuffe ihn aufmunternd in die Seite, aber er steht nur auf und streicht sich mit den Händen übers Gesicht. Mit einem Mal muss ich daran denken, wie es damals war, als ich zur Ausbildung nach Pforzheim gegangen bin. Da hat er tagelang nicht mehr gegessen, getrunken, geredet.
» I bin bloß müd«, sagt er. » I muss ins Bett.«
Er schaut sich um und blickt so verloren drein, als hätte er sich im Wald verirrt. Seine Frau nimmt keine Notiz von ihm, und der Quirin auch nicht. Ich will gerade seinen Hotelschlüssel aus der Tasche ziehen, da sieht der Papa mich plötzlich ganz komisch an, und nun bemerke es auch ich.
Die Omi fehlt. Die ganze Zeit schon.
Um genau zu sein, ich habe sie schon seit Stunden nicht mehr gesehen.
Der Papa guckt sich suchend um, aber im Gastraum ist sie nicht. Er läuft raus vor die Tür, ich sehe derweil am Abort nach, aber nichts.
Ich schau den Papa an und er mich.
Und dann kommt es mir plötzlich.
» Mir nach«, sage ich und nicke dem Papa zu. Wir marschieren quer durchs Lokal, am Tresen vorbei, durch die Schiebetür.
Und dann sehe ich sie. Nur von hinten zwar, aber trotzdem ist der Anblick so komisch, dass ich den Papa ansehen muss und wir in Lachen ausbrechen. Das ist das letzte Mal passiert, als ich … keine Ahnung … 14 gewesen bin.
Aber das war ja auch so dermaßen klar.
Die Omi hat einen leeren Kasten Bier umgedreht und so zum Schemel umfunktioniert. Darauf steht sie, direkt neben dem Schorsch. Die beiden bemerken uns nicht, natürlich nicht. Denn die Omi ist gänzlich gebannt von dem neuen Konvektionsofen mit 360 Kochprogrammen, Infraroteinheit, Mikrowelle und LCD -Display, den der Schorschi ihr in heller Begeisterung vorführt.
7
Vor Gate 4 verabschieden wir uns, ein bisschen erschöpft, aber nicht unglücklich. Heute ist Samstag, die Eröffnung war gestern, und wir haben den ganzen Tag zusammen in der Stadt verbracht, volles Programm: Unter den Linden, Holocaust-Mahnmal, Brandenburger Tor. Wir sind in die Kuppel des Reichstags hinauf, wo die Mama steif und fest behauptet, sie hätte beim Händewaschen auf dem Klo Ursula von der Leyen höchstpersönlich gesehen, und sie hätte dieselbe Handcreme verwendet wie sie. Wir sind die Friedrichstraße entlanggebummelt, wo sich das Omilein am Checkpoint Charlie für einen Euro mit einem falschen russischen Soldaten fotografieren hat lassen. Der Papa wollte dann natürlich auch ein Bild, zusammen mit seiner Mama, und weil wir schon mal dabei waren, haben wir dann auch noch alle zusammen ein Foto gemacht. Es ist das erste gemeinsame Foto seit meiner Kommunion, glaube ich, geschossen von zwei Japanerinnen, die in Stiefeln mit 12-Zentimeter-Absätzen gerade einen Stadtrundgang machten. Wir sind durch die Hackeschen Höfe spaziert und auf den Fernsehturm hochgefahren. Als ich da oben stand, und uns die Stadt wie ein grauer, endloser Teppich zu Füßen lag, musste ich daran denken, wie ängstlich ich noch vor einer Woche war, als das Flugzeug in den Landeanflug sank. Heute ging es mir ganz anders. Mein Herz hat angefangen zu klopfen, als ich an die ganzen Abenteuer dachte, die da unten auf mich warteten.
Der Papa stellt seinen Koffer ab und sieht mich an.
» Papa«, sage ich und falle ihm in die Arme. Er hält mich ganz fest, gräbt mir die Finger in den Rücken, und ich bemerke, wie unregelmäßig er atmet. Er riecht auch immer noch ein bisschen nach Bier, muss man sagen. Nach dem Fernsehturm haben wir nämlich am Alexanderplatz einen Ableger des Hofbräuhauses entdeckt, eine bierdimpfelige Halle, in der es Blasmusik vom Band
Weitere Kostenlose Bücher