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Die Breznkönigin: Roman (German Edition)

Die Breznkönigin: Roman (German Edition)

Titel: Die Breznkönigin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Sternberg
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gekommen bin, geschweige denn dazu, so etwas wie heimatliche Gefühle zu entwickeln, weder für das Wirtshaus noch für mein Dachgeschossschloss am Maybachufer. Was natürlich irgendwie auch etwas damit zu tun hat, dass diese Minghartinger Stuben am Ende doch eher wenig zu tun haben mit dem, was bei uns daheim in Bayern steht. Die Decke ist nicht halb so dunkel und niedrig wie die in Mingharting, sondern hoch und licht und stuckverziert, was eigentlich ganz gut aussieht, weil man Platz hat zum Atmen, andererseits natürlich das Gegenteil von griabig ist. Die Lampen, die der Quirin hat anfertigen lassen, sehen tatsächlich genau wie die daheim aus, allerdings hängen sie halt an drei Meter langen Kabeln. Das ist natürlich auch ganz schick, allerdings nur solange es dunkel ist und man unter einem der Lichtkegel sitzt. Bei Tageslicht hängt der Himmel quasi voller Kabel, was echt ein bisschen ungemütlich ist. Und natürlich sehen auch die Fenster des Raums ganz anders aus. In Mingharting gibt es bloß kleine Gucklöcher mit Vorhängen und allerlei Krimskrams davor, weil Tageslicht braucht kein Mensch, wenn er in einem Wirtshaus sitzt. Hier hingegen gibt es mehrere raumhohe Fenster zur Straße hin, und ich hab mich in den ersten Tagen kaum daran gewöhnen können, dass ich in Zukunft quasi in einem Schaufenster serviere. Und so gehen die Unterschiede weiter: Die Schnitzereien an den Stühlen sind so dezent, dass man sie kaum sieht. Die Wände sind schlohweiß statt tabakgilb. Der Dielenboden hier ist frisch abgeschliffen, in Mingharting hingegen so durchgetreten, dass er an manchen Stellen eher einer Bobbahn ähnelt. Und vor allem fehlen halt auch die Wolpertinger, die bei uns daheim in jeder Ecke stehen. Wobei, na gut – am Kopfende des Speisesaals hat Quirin einen riesigen an die Wand montieren lassen. Ein fast schon religiös angeleuchtetes Mordstrumm mit Flügeln und drei verschiedenen Köpfen aus insgesamt sechs Tieren: ein Hasenkopf mit Wildschweinzähnen, ein Marderkopf mit Geweih und ein Fuchskopf mit Einhorn auf der Stirn. Irgendein Berliner Künstler hat es angefertigt, der Name hat mir nichts gesagt, aber Quirin nannte ihn mit so großer Ehrfurcht, dass man ihn wohl eigentlich kennen müsste. Nicht dass ich irgendwas von Kunst verstünde, aber der Wolpertinger gefällt mir eigentlich ganz gut. Ich meine, die Idee des Wolpertingers ist ja an sich schon absurd, da schadet es nichts, wenn man den Schwachsinn noch zwei, drei Windungen weiter dreht und auch von der Größe her noch eine Schippe drauflegt.
    Na ja. Wie auch immer. Auf alle Fälle fand ich den Gasthof am Anfang irgendwie doch ein wenig zu anders als unseren in Bayern. Ich hatte das Gefühl, dass die Atmosphäre nicht stimmt, dass alles zu modern und hell ist, clean, wie die Bea sagen würde. In der letzten Woche war ich fast ein bisschen enttäuscht deswegen, weil der Quirin ja versprochen hatte, die Minghartinger Stuben nachzubauen, und nicht nur hier und da anzudeuten, wie das Mutterschiff aussieht.
    Aber dieser Abend heute hat mein Gefühl vollkommen umgedreht. Ich meine, wahrscheinlich war es einfach ungerecht, von einem neueröffneten Lokal zu verlangen, dass es von Anfang an Geschichte und Seele mitbringt, oder? Was nicht ist, das kann noch werden, und ich bin fest überzeugt, dass dieser Ort hier noch wird. Nach den vielen Leuten und dem Fränzi und den tausend Busserln, die in die Luft geworfen wurden und die immer noch durch den Raum fliegen, ist es fast so, als sei das hier nun wirklich mein eigener Gasthof. Als sei ich tatsächlich Wirtin, und das mitten in Berlin. Und das kribbelt. Wie narrisch kribbelt es.
    Ich winke einer Fotografin hinterher und rechne insgeheim damit, gleich wieder Quirins Hand auf der Schulter zu spüren, aber der steht an der Bar und kippt Schnäpse. Mit einem Typen in kariertem Anzug und Krawatte und seiner Frau Jella, die inklusive High Heels, schwarzem Seidenkleid und Abendhandtäschchen tatsächlich allenfalls fünfzig Kilo wiegt. Dann fällt mein Blick auf den Papa, der direkt unter dem Wolpertinger sitzt, allein auf der Bank, die fast so wie die daheim in Mingharting aussieht. Sein Blick ist glasig, und er hat seinen Trachtenhut mit Gamsbart auf dem Kopf, was den seltsamen Effekt hat, dass er aussieht, als würde er zum Wolpertinger dazugehören, als sei er Teil des Kunstwerks.
    » Na, Papa«, sage ich und lasse mich neben ihn sinken.
    » Na, Fanny«, sagt er, ohne mich anzusehen.
    » Magst no a

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