Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
großen Kirche und dann am Görlitzer Park vorbei, an der Hobrechtbrücke über den Landwehrkanal und dann bin ich auch schon da. Ich hatte vor, mich kurz frisch zu machen – die Wohnung hat eine riesige, antike Badewanne, die beeindruckenderweise mitten im Wohnzimmer steht –, aber als ich auf die Uhr sehe, ist es dann doch schon viertel vor fünf und gleich beginnt ohnehin meine Schicht. Das Wirtshaus öffnet ja täglich um sechs (außer Montag, da ist dicht), und eine Stunde vorher muss zumindest einer aus dem Service da sein, und das bin meistens ich. Außerdem spüre ich plötzlich das Bedürfnis, meine Kollegen zu sehen und einfach loszulegen. Der erste richtige Tag für mich seit der Eröffnung gestern!
Herzklopfen, aber ehrlich.
Ein unglaublich guter Geruch schlägt mir entgegen, als ich das Wirtshaus durch den Hintereingang betrete, nach Bratensauce und brauner Butter und feinstem Backwerk. Ich stürme durch die Küche, wo der Schorsch und die anderen vier Köche gerade mit schnellen, ruhigen Bewegungen die letzten Vorbereitungen für den Abend treffen, weiter in den Personalraum, wo die Spinds für die Mitarbeiter sind. Ich nicke Lara, Mathilde und Eva zu, die heute für den Service eingeteilt sind, und schlüpfe in die Uniform, die Quirin in Absprache mit mir festgelegt hat: Jeans und weißes T-Shirt, und dann noch eine dunkelblaue, fast bodenlange Schürze, die man sich um die Hüften wickelt. Nicht gerade typisch bayerisch, das ist natürlich klar, aber der Quirin fand es gut, ein bisschen Distanz zur Tradition aufzubauen, damit wir nicht zu folkloristisch und verkleidet aussehen, was mir natürlich nur recht ist. Bayerin hin oder her, ich fühl mich prinzipiell nicht besonders wohl in Kleidern, und Dirndl sind da besonders schlimm. Na ja, auf alle Fälle sehen wir alle – Jungs wie Mädchen – wahnsinnig schlank in diesen tollen langen Schürzen aus, hochgewachsen und anmutig. Ich betrachte mich in dem schmalen Spiegel, der neben der Türe hängt, erst von der einen Seite und dann von der anderen. Ich trete näher und betrachte mein Gesicht. Obwohl ich natürlich selber weiß, dass ich von Kopf bis Fuß wie eine Kellnerin gekleidet bin, eigentlich vollkommen gewöhnlich, habe ich ein Gefühl, das ich schon so lange nicht mehr hatte, dass ich mich kaum daran erinnern kann.
Ich spüre, dass ich am Leben bin.
8
Der Laden läuft, man glaubt es nicht. Da war der Minghartinger Bratwursttag eine Trauerfeier dagegen. Seit der Eröffnung vor vier Wochen herrscht ein Remmidemmi wie auf der Kaufinger Straße, an so was wie Verschnaufspause ist nicht einmal zu denken. In der Küche gehen die Gasherde den ganzen Abend nicht aus, das Tegernseer Helle sprudelt und sprudelt und sprudelt, und es ist noch kein einziges Mal passiert, dass ich durch die Schiebetür in die Küche gekommen bin und da kein Teller stand, der schleunigst serviert werden wollte. Die Mädels aus dem Service laufen sich die Hacken blutig, ehrlich, und, bloß nebenbei bemerkt: ich mir auch. Eigentlich bin ich ja explizit nicht als einfache Bedienung eingestellt worden, sondern als Maître de, so nennt’s zumindest der Quirin. Soll heißen: Ich bin diejenige, die die Leute beim Reinkommen an der Tür abfängt, ihnen ein herzliches Grüß Gott schenkt, sie zu ihren Tischen bringt und ihnen bei der Wahl der Speisen beratend zur Seite steht. Aber das ist natürlich nicht alles. Der Quirin hat ja schließlich noch vier andere Restaurants, ist also maximal ein- oder zweimal pro Woche in den Stuben und kann sich ergo nicht um allen Kleinkram kümmern (und vor allem ist Kleinkram an sich eher nicht so sein Ding). Deshalb bin ich auch hinter den Kulissen diejenige, die den Überblick behält und zusehen muss, dass alles in Ordnung ist. Ich muss die Dienstpläne schreiben, zusammen mit dem Schorschi die Logistik kontrollieren, die Bestellungen unterzeichnen und als Ansprechpartnerin für quasi alles fungieren. Jemand ist krank? Sagt er’s der Fanny. Klo verstopft? Die Fanny soll fix einen Klempner finden. Finger unters Messer gekriegt? Die Fanny weiß, wo das Verbandszeug ist und obendrein auch noch, wie man eine Hand so in Mullbinden wickelt, dass sie quasi schon aus Ehrfurcht wieder heile wird. Kurzum: Ich hätte auch ohne laufenden Wirtshausbetrieb einen Buckel voll Arbeit und eigentlich echt Besseres zu tun als zu bedienen. Aber bei so einem Irrsinns-Halligalli wird natürlich jeder Mann gebraucht.
Ich stelle der Gruppe an Tisch vier neue
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