Die Brillenmacherin
großen Händler Francesco Datini aus Prato und Giovanni Orlandini aus Florenz sind daran beteiligt.«
»Großartig, Majestät.«
»Wieviel Wolle erhält man, wenn man dreitausend Schafe schert?«
»Majestät?«
»Vierzehneinhalb Sack Wolle im Wert von je neun Pfund sechs Schilling. Das macht etwa einhundertdreißig Pfund. Und jetzt ratet einmal, was eine genuesische Karacke transportiert, eine einzige Karacke!«
|406| »Diese Schiffe sind mächtig, Majestät, wie Burgen. Sie trotzen jedem Sturm. Ich denke, ein solches Schiff kann eine ganze Menge laden.«
»Eine einzige Karacke transportiert Waren im Wert von zwanzigtausend Pfund! Zwanzigtausend! Sie kommen im Mai von Brügge nach Southampton und warten dort, bis nach der Schafschur im Juni die Wolle angeboten wird. Vier Prozent des Einkaufspreises der Wolle kostet der Transport nach Italien. Versteht Ihr, welche Gewinne da enthalten sind? Die Genuesen werden toben, wenn in Bälde venezianische Galeeren ihnen den Handel streitig machen. Was meint Ihr? Sollten wir die Calaisabgabe erhöhen? Neunzehn Pence pro Sack Wolle sind es bisher.«
»Majestät, wir sind hier, weil –«
»Und dann dieser Alaunhandel! Der Alaun wird überall gebraucht, zum Reinigen der Tücher, zum Beizen in der Färberei, die Gerber brauchen ihn und die Glasbrenner. Wer beherrscht den Alaunhandel? Wieder die Genuesen. Wenn man ihnen die Alaunminen in Phokäa streitig machen könnte …«
»Majestät, gestattet, daß ich Euch eine Frage stelle.«
»Nun, also, wenn Ihr es nicht lassen könnt!«
»Die Königin verfügt über eine Bibel in Böhmisch, Deutsch und Latein. Warum sollte es keine in Englisch geben?«
»Wenn Ihr eine besitzt, lieber Ritter, gern. Aber Ihr fragt, weil Ihr Euch eine Bibel für das ganze Volk wünscht, nicht wahr? Darin liegt die Gefahr.«
»Mit Verlaub, Eure Majestät, darin liegt die Chance!«
»Und wie kommt das?«
»So kann jedermann prüfen, ob er gemäß Gottes Maßstab lebt, und kann sein Herz dem Allmächtigen darbieten zu ewiger Freundschaft.«
»Die Bibel als Maßstab für die Gläubigen ist ein unberechenbares Ding. Wir haben die Traditionen der Kirche, seit Jahrhunderten leiten sie uns gut. Belassen wir es dabei. – Wißt Ihr, wieviel Wolle allein über Southampton jährlich durch ausländische Händler verschifft wird? Eintausendsechshundert |407| Sack! Ich sollte die Calaisabgabe heraufsetzen, sagen wir, zunächst auf einundzwanzig Pence je Sack Wolle.«
»Ihr irrt, Majestät.«
Der König kniff die Augen zusammen. Einen langen Augenblick war es still. »Was sagt Ihr da?«
»Die Wahrheit –«
»Ihr wollt mir sagen, was Wahrheit ist? Wie man mir zuträgt, nehmt Ihr in Gegenwart der Hostie die Kopfbedeckung nicht ab. Geht ein heiliger Umzug durch die Straßen, dreht Ihr ihm den Rücken zu! Und da wollt Ihr mich belehren über Heiligkeit und Wahrheit?«
»Majestät.« Sturry tat einen Schritt nach vorn. Die Ruhe, mit der der alte Ritter sprach, wirkte besänftigend. »Ich habe Eurem Großvater gedient und Eurem Vater. Ich habe viel gesehen in diesem Land und in anderen Ländern. Wenn Ihr Euch die Lehren Wycliffes gnädigerweise anhören würdet –«
»Meine Mutter hat sie mir zur Genüge vorgetragen. Ich weiß, welche ketzerische Auffassung er vertreten hat.«
»Eure Mutter hat ihn unterstützt und ihm geglaubt.«
»Ich glaube allein Gott.«
»Lest Ihr die Bibel?«
»Natürlich.«
»Das ist nicht für jeden in England selbstverständlich. Viele Bürger können lesen, aber sie sind des Lateinischen nicht mächtig. Eine Übersetzung der beiden Testamente ins Englische würde zu einer neuen Blüte des Glaubens führen, dieses Land würde erstarken und Gottes liebevolle Hilfe genießen.«
Der König lächelte spöttisch. »So wollt Ihr mich locken? Was England jetzt braucht, ist keine Blüte des Glaubens, sondern Einheit und Königstreue! Wißt Ihr nicht, alter Mann, was im Augenblick geschieht?«
»Majestät, bitte!« Simon Burley legte Sturry die Hand auf die Schulter. »Dieser Ritter und seine Gefährten haben Beleidigungen nicht verdient. Sie sind Euch loyal gesinnt wie wenige in diesen Tagen, dafür stehe ich mit meinem Kopf ein. Verstoßt nicht Eure treusten Unterstützer!«
|408| »Ihr ergreift also Partei für die Ketzer, Sir Burley?«
»Für die Ketzer, wenn Ihr so wollt, und gegen Erzbischof Courtenay.«
Der König errötete.
Welch geschickter Schachzug, den Burley für sie unternommen hatte! Es war Zeit, daß Courtenays
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