Die Brillenmacherin
Name fiel. Der König hatte den Erzbischof vor zwei Jahren beinahe mit dem eigenen Schwert niedergestreckt, sie haßten sich. Das galt es auszunutzen. Latimer trat vor. »Courtenay hat meine Burg niedergebrannt. Meine Frau Lady Anne von Ashley wurde schwer verwundet. Sie hat sich bis heute nicht erholt. Und er hält Doktor Hereford gefangen, einen Professor der Universität Oxford.«
Da lachte König Richard, und er verwandelte sich in einen jungen Mann, der nicht auf den Thron, sondern in den Tanzsaal gehörte. Es war ein kindliches, helles Lachen. »Und jetzt wollt Ihr, daß ich ihm gebiete, diesen Verbrecher freizulassen?«
»Wir bitten darum, daß er als Gefangener in Nottingham Castle festgehalten wird«, sagte Nevill. »Ich bürge für ihn. Er wird nicht predigen und keine öffentlichen Reden halten. Solltet Ihr Euch entscheiden, ihn zu bestrafen, wird er überführt. Er soll nur nicht Gefangener in den Händen Courtenays sein, der den alten Mann foltert.«
Der König wurde ernst. »Das ist alles?«
»Ja, Majestät.«
»Eure Treue ist mir wertvoll. Ich will Euch die Bitte erfüllen. Allerdings habe ich eine Bedingung.«
Die Ritter sahen auf.
»Eure Ketzerei darf nicht öffentlich bekannt werden. Haltet sie geheim. Versteht Ihr denn nicht? Wenn ruchbar wird, daß ich Kenntnis von Euren Ansichten habe, fällt Euer Irrglaube auf mich zurück. Ihr zwingt mich auf diese Weise, mich von Euch zu distanzieren und Euch zum Verlust von Hab und Gut zu verurteilen, möglicherweise Euch zu verbannen, einzukerkern oder Schlimmeres. Ihr sollt ein Schreiben |409| erhalten, daß auf königlichen Befehl der Gefangene nach Nottingham Castle gebracht werden soll, in die Verantwortung des Ritters Sir William Nevill. Ich weiß, daß Ihr gute Untertanen seid und ehrenwerte Ritter, der Stolz meines Landes. Laßt Euch dazu bewegen, Euren Glauben nicht weiter zu verbreiten.« Er brummte ärgerlich. »Und bestellt diesem Courtenay einen Gruß von seinem König: Er soll seine Macht nicht allzu freizügig ausüben, sonst könnte es recht plötzlich damit ein Ende haben.«
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»Sie ist ahnungslos«, flüsterte Sligh. Er biß sich vor Freude in die Faust. Catherine spazierte durch den Garten, fort von der Kathedrale, geradewegs in seine Krallen. Wie einfältig mußte sie sein, in Canterbury den Schutz der Ritter zu verlassen! Oder hatten sie sie nicht mitnehmen wollen zum Erzbischof, weil sie hofften, die Verhandlungen würden besser laufen ohne sie? Gutgläubige Kinder, diese Ritter. Sie kannten Courtenay nicht. Dachten sie, er würde vor einem Mord zurückschrecken, weil es Tag war, oder weil die heilige Kathedrale ihre Schatten über die Tat warf?
Er drehte sich um in das Dunkel der Scheune und zischte: »Ihr wartet, habt ihr verstanden? Die Audienz beim Erzbischof wird sich auf einen kurzen Wortwechsel beschränken. Die Ritter verlassen jeden Augenblick wieder das Haus. Dann bringe ich Catherine um, so, daß sie aus der Ferne sehen können, wie sie stirbt. Sie werden mich verfolgen. Erst in der Scheune greift ihr an. Am besten, sie sehen euch nicht, bis ihnen kalte Klingen durch die Leiber fahren.«
»Was ist mit dem Kind?« fragte einer der Söldner.
Darüber hatte er noch nicht nachgedacht. Was war mit dem Kind? Catherine hielt die Kleine in den Armen, sie würde herunterfallen, wenn er ihr die Brust durchbohrte. »Die Kleine wird brüllen. Um so besser. Es wird die Ritter rasend machen.«
Die Kathedrale von Canterbury täuschte durch ihre Fenster Friedfertigkeit vor. Catherine aber spürte deutlich: Das Bauwerk mit seinen hellen Steinen, spitzen Türmchen und Zierbögen war eine Festung genauso wie Windsor Castle oder die Burg in Nottingham. Es war die Festung Courtenays. Sie erhob sich weit über die Dächer Canterburys empor, als wollte |411| sie verkünden, wie hoch der Erzbischof die Gewöhnlichen überragte. Catherine drehte der Kathedrale den Rücken zu. Sie versuchte zu vergessen, daß die Ritter im Bischofspalast mit Courtenay rangen, sie versuchte zu vergessen, daß sie in seinen Gärten, in den Gärten des Bösen, spazierte. Unter den Kirschbäumen ging sie entlang und nahm sich vor, an etwas Erfreuliches zu denken.
Welcher Gedanke hatte sie immer erfreut? Sie betrachtete das Gesichtchen der Tochter. Mit großen, weit aufgerissenen Augen sah Hawisia um sich und spielte dabei mit dem Mund. Jedes Staunen mußte sie durch ein Vorschieben der Lippen anzeigen, durch ein Kauen und ein Zucken der
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