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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nicht nötig. Sie sind ahnungslos, das kannst du mir glauben!«
    »Und ich soll darauf bauen, daß es so bleibt? Wie will ein Säufer wie du verhindern, daß Hereford um Hilfe ruft oder jemanden durch Zeichen über seine Lage verständigt? Im Handumdrehen hast du die Brückenmeister im Haus.«
    Schweiß glänzte auf Slighs Händen und auf seinem Hals. Wenigstens begriff er, daß er in Schwierigkeiten steckte. »Das sind Beamte der Stadt und keine Menschenjäger. Die sitzen in ihrem Bridge House in Southwark und verwalten die Brücke, nichts weiter. Instandsetzung, Betrieb der Zugbrücke, solche Dinge. Gespräche mit den Händlern. Die zittern doch nur, ob die Bürgerschaft sie nächstes Jahr wieder wählt oder ob sie ihren Posten verlieren.«
    »Eben darum brauchen sie Gold. Eben darum sind sie bestechlich. Wo ist der Beutel, Sligh?«
    |399| »In London leben vierzigtausend Menschen. Es gibt vierundzwanzig Stadtbezirke, zwei Dutzend Stadträte, hundert Kirchen. Drei Burgen stehen hier, drei Gefängnisse. Glaubst du, es kümmert sich jemand um einen alten Professor, der unfreiwillig auf der London Bridge lebt?«
    Nun war es genug. Er besaß die Dreistigkeit, ihm London zu erklären! »Du willst mich belehren? Du willst mir die Stadt erkären, deren Bischof ich ein halbes Jahrzehnt lang war? Du hast ohne mein Wissen Nevill bespitzelt und damit meine Pläne aufs Spiel gesetzt. Du hast in Braybrooke versagt. Und nun hast du mich bestohlen.« Er wendete sich um, trat auf die Tür zu. »Ich lasse dich fallen.« Seine Londoner Freunde würden für einen unauffälligen Mord sorgen.
    Sligh jaulte auf. Er warf sich vor Courtenay zu Boden und umfaßte seine Fußknöchel. »Bitte, verschont mich!« Der umfangreiche Körper wälzte sich vor die Tür. »Geht nicht. Sagt mir, was ich tun soll, ich werde Euer Vertrauen wieder verdienen!«
    »Es ist zu spät.« Tatsächlich, er duzte ihn nicht mehr, das war eine Genugtuung. Sligh wußte sehr gut, was es hieß, bei Seiner Exzellenz, Erzbischof Courtenay, in Ungnade zu fallen.
    »Stoßt mich nicht fort, William!« Das schwammige Gesicht, die Falten in den Mundwinkeln, wo die Haut ein wenig überhing; die Ohrläppchenpfropfen, der sackartige Hals – Sligh erschien als Tier, wie er da auf dem Boden kroch und röchelte.
    Und Courtenay empfand Mitleid, ähnlich dem, das er oft in Not geratenen Kreaturen gegenüber fühlte: Spinnen, Kröten, Rehkitzen. War Sligh nicht in gewisser Weise sein Geschöpf? Hatte er ihn nicht selbst zu diesem unstillbaren Hunger erzogen? Er war ja schuld an Slighs Versagen, denn er hatte versäumt, ihn rechtzeitig zu füttern. Aus den bescheidenen Anlagen zur Gier dieses Vikars von Blakesley hatte er eine Praßsucht gemacht, die ihn abhängig machte von seinem Auftraggeber. Nun, da er sich nicht um das Geschöpf gekümmert |400| hatte, hatte es gefressen, was es vorgefunden hatte. »Wieviel hast du verschleudert? Na?«
    »Es ist …«
    »Zwei Pfund habe ich dir gegeben. Das sind vierzig Schillinge.«
    »Es sind noch sechs Schillinge da, William, und ein Halfpenny.«
    Courtenay trat nach Sligh. »Du Nichtsnutz!«
    Sligh stöhnte.
    Ein weiterer Tritt. Courtenay prüfte das Stöhnen. Erwachte Wut in Sligh? Wut, die er nach seinen Wünschen lenken konnte? Er ging in die Hocke. »Du hast große Fehler gemacht. Aber ich bin ein Freund, ich will dir eine letzte Gelegenheit geben zu beweisen, was du kannst.«
    Mühevoll kam Sligh auf die Füße. Adern wölbten sich über Schläfen und Stirn. Aus seinem Blick sprach ungezügeltes Verlangen.
    »Du sollst die sechs Schillinge behalten«, sagte Courtenay, »und zehn weitere bekommst du, wenn die Sache vollbracht ist.«
    »Wen soll ich umbringen?«
    »Zunächst Catherine Rowe.«
    »Wo?«
    »Die Ritter werden nach Canterbury kommen, um Hereford zu suchen.«
    »Gut.«
    »Und dann: Thomas Latimer. Irgend etwas sagt mir, daß er die Beherrschung verlieren wird, wenn wir Catherine vor seinen Augen töten. Er wird uns die Gelegenheit geben, ihn ihr nachzuschicken in die Hölle. Wo schläft der Professor? Diese Tür?«
    Sligh nickte.
    Es war eine kleine, fensterlose Kammer. Die Luft stand darin, aber sie roch nicht unangenehm: Der Duft von altem Leinentuch hing zwischen den Wänden. Courtenay ließ die Tür einen Spaltweit offenstehen. Tatsächlich schlief der Alte. |401| Er lag auf dem Rücken, die Rechte hing über der Bettkante, die Linke lag auf dem Bauch. Herefords Atemzüge strahlten eine solche Ruhe aus, daß er sich gern

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