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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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und sich danach sehnten wie nach einer verlorenen Heimat. Die Bücher seiner Auftraggeber aber waren ihm immer gleichgültig gewesen. Seine Arbeit bedeutete ihm alles. Was war in Braybrooke geschehen? Von wem stammten diese Seiten?
    Ihr Blick wanderte zur Kiste mit den hölzernen Brillenschachteln. Elias schnitzte in jede mühevoll sein Zeichen hinein. Er hatte ihr erklärt, daß es aus zwei Buchstaben bestand, aus denen, die seinen Namen ausmachten, Elias Rowe. Das Schnitzwerk enthalte aber nicht den ganzen Namen, sondern eine Art Rätsel, mit dessen Hilfe man einen Teil des Namens erraten müsse. Würde sie seinen Namen auf den Pergamenten erkennen?
    |54| Catherines Nacken steifte sich. Schritte. Poltern an der Tür. Tageslicht fiel in den Raum.
    Es war der erste September. Sankt Ägidien. Und Elias kehrte heim.
    Sie sprang auf, ließ die Pergamente auf den Boden segeln. Mit einem Schrei flog sie ihm an den Hals und preßte sich an ihn.
    Müde legte er seine Arme um sie.
    »Wo warst du?«
    Er streichelte schweigend ihren Rücken.
    »Ich hatte Angst«, flüsterte sie.
    »Ich wollte dich nicht allein lassen.«
    »Auf dem Markt – was ist da passiert? Warum warst du plötzlich verschwunden?«
    Das Streicheln hörte auf.
    »Hat es mit diesen Pergamenten zu tun? Wem gehören sie?«
    »Sie gehörten Sir Latimer.«
    »Hast du –« Catherine stockte. »Du hast sie nicht gestohlen, oder?«
    »Nein, so ist es nicht.«
    Sie schob ihn ein Stück von sich weg und sah ihm ins Gesicht. Elias wich ihrem Blick aus. Sein Gesicht trug Falten, die sie nicht kannte: an den Augen, um den Mund. Er ging zum Werktisch hinüber, langsam, als würde ihm das Gehen schwerfallen.
    »Elias, rede mit mir! Es ist etwas Schlimmes geschehen, bitte, sage mir, was passiert ist!«
    Er schwieg.
    »Elias?«
    »Ich wünschte, ich hätte dich nicht geheiratet.«
    Es verschlug ihr den Atem. »Was?« hauchte sie. Seine Hand kroch über den Tisch, ergriff eines der Schnitzmesser. Dazu nahm er ein Lindenholzbrettchen. Er ließ sich auf den Schemel hinabsinken und begann, ein Muster in das Holz zu ritzen.
    |55| Catherine brannte der Mund. Zugleich fror ihr der Nacken. Das war nicht Elias. Unmöglich. Wen hatte sie gerade umarmt? Wer saß dort und schnitzte, den Rücken gebeugt wie der Brillenmacher, ihr Mann? Sie wollte ihn fragen oder ihn fortstoßen, aber sie wagte weder das eine noch das andere.
    In der Küche würde sie Dunkelheit finden. Dort gab es keine Fenster, und wenn sie die Tür zum Eßzimmer schloß, war sie weit genug entfernt von ihm, um wieder Luft zu bekommen. Catherine ging die Treppe hinauf. Im Eßzimmer stand der neue Ofen. Elias hatte alles Geld zusammengenommen, das sie besaßen, hatte Kacheln gekauft und die Handwerker bezahlt, die den Schornstein mauern mußten. Warum? Weil sie darunter litt, daß es aus der Feuerstelle bis in die Schlafkammer nach Rauch roch. Hatte er das nicht aus Liebe getan?
    Sie trat in die kleine Küche, schloß die Tür.
    Zitternd sank sie in sich zusammen. Aus den aufeinandergepreßten Lippen brach ein Schluchzen heraus.
    Eine andere Frau? Handelte es sich bei den Pergamenten vielleicht um Briefe, und was Elias über Sir Latimer gesagt hatte, war eine Lüge? Aber wie kam es dann, daß er auf der Reise so fröhlich gewesen war?
    Die Dunkelheit der Küche umfing Catherine. Hart fügte sich der Dielenboden an Gesäß und Hände. Sie wollte nie wieder zurück in das Licht. Es war das beste, wenn sie an Ort und Stelle starb. Oder sollte sie noch einmal hinuntergehen und Elias sagen, daß sie mit ihm glücklich gewesen war und daß sie nicht verstand, wie er ihre Ehe aufgeben konnte? Sie liebte diesen Mann, ihn, der die gemeinsamen Jahre in den Abwasserkanal schüttete. Sankt Ägidius. Patron der stillenden Mütter. Catherine schüttelte den Kopf. Heute warf er ihre Liebe in die Jauchegrube.
    Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. Was, wenn es andere Sorgen waren, die ihn bedrückten? Er hatte davon gesprochen, daß er den Ofen vom letzten Geld bezahlt hatte und daß sie sparsam leben mußten in der nächsten Zeit. Burgwhenna gab ihnen nur eine kleine Miete. Hatte man vielleicht |56| das Geld gestohlen, das er in Melton Mowbray vom Pferdehändler erhalten hatte? Und nun fürchtete er, sie nicht mehr ernähren zu können, und wünschte deshalb um ihretwillen, sie nicht geheiratet zu haben?
    »Du lügst dir etwas vor«, flüsterte sie. »Hast du ihn dir nicht angesehen? Nur noch seine Hülle ist hier. Er ist

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