Die Brillenmacherin
geh nicht fort. Ich werde den Apotheker aus der Castle Gate holen, er wird Rat wissen. Hältst du so lange durch?«
Das Lächeln in seinem Gesicht löste sich auf. Wangen und Mund wurden schlaff.
Catherine beugte sich hinab und preßte ihr Gesicht an seines. »Mein Geliebter, geh nicht!« Sie suchte seine Hand, umschloß sie, hielt sie fest.
Sein Kopf sank zur Seite. Sie hob ihn wieder auf, streichelte ihn. »Hast du es geschafft, mein guter Mann? Du brauchst nichts zu antworten. Ich weiß, Sprechen war nie deine Stärke.« |59| Ohne sich um die Blutlache zu kümmern, die über die Steinfliesen kroch, setzte sie sich nieder und nahm seinen Kopf auf den Schoß. Zärtlich streichelte sie Elias das Gesicht. »Ich liebe dich. Weißt du das? Warum läßt du mich allein? Dein Wunsch wird in Erfüllung gehen. Das wollte ich dir gestern sagen, weißt du, an Sankt Ägidien, weil es der passende Tag dafür ist. Ich bin schwanger. Es wird der Sohn, den du dir immer gewünscht hast. Wollen wir ihn Laurence nennen? O Elias, bitte, ich brauche dich! Verlasse nicht deine junge Frau.«
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Wolken schmückten den Himmel wie Strähnen, gerade über das Firmament gekämmt und in den Spitzen geschwungen. Die Luft fügte sich erfrischend in Alans Lungen. Er hielt die Zügel locker, der Klepper fand den Weg nach Nottingham auch ohne seine Hilfe. Die Wagenräder sprangen über Steine, der Wagen war leer, er lag leicht auf der Straße.
Licht überflutete die Weide. Auf den Schafrücken ruhte sich die Sonne aus. Gelber Mohn wippte am Wegrand. Eine kleine Glocke klingelte: Der Schäfer hatte sie zwischen die Hörner eines Bocks gebunden, um seine Herde in den Hügeln nicht zu verlieren.
»Was ist der Unterschied zwischen den Reichen und den Armen«, seufzte Alan, »was meinst du, Jok?« Er streckte die Schultern, beugte den Rücken, daß es knackte, dann richtete er sich wieder auf. »Ich glaube, daß es dumm ist, wenn man sich darüber keine Gedanken macht.«
Jok nickte.
»Für Leute wie mich hat die Arbeitswoche nur fünf Tage, für die Reichen hat sie sechs. Vier Tage mehr im Monat. Was meinst du, was man an vier Tagen alles schaffen kann! Ich werde ja hören, was es kostet, sich von den Montagsdiensten freizukaufen. Möglich, daß die Reichen nur deshalb zu Wohlstand gekommen sind, weil sie auch am Montag für sich arbeiten können, anstatt dem Herrn zu dienen, denkst du nicht auch?«
Jok nickte.
»Man muß sich entscheiden, zu wem man gehören will. Ich entscheide mich, kein armer Schlucker mehr zu sein. Du wirst sehen!«
Jok nickte.
|61| »Laß uns mal rechnen. Der halbe Acker liegt brach, um sich zu erholen. Auf der anderen Hälfte baue ich Weizen, Roggen oder Gerste an und ernte in einem guten Jahr, sagen wir, viermal soviel, wie ich gesät habe. In einem schlechten Jahr dreimal soviel. Das ergibt zwölf Schillinge, wenn es gut kommt, dreizehn. Fünf Schillinge zahle ich Pacht, einen Schilling zehn Pfennige Tallage-Steuer. Außerdem bin ich verpflichtet, die Mühle des Herrn in Anspruch zu nehmen und dafür zu bezahlen. Viel bleibt nicht übrig. Aber wir sind nicht auf den Kopf gefallen, nicht wahr, Jok? Die Fuhren in die Stadt für die reicheren Bauern bringen zusätzliches Geld. Rate mal, wieviel ich schon angespart habe!«
Jok schnaubte.
»Leider falsch. Rate noch einmal!«
Jok schwieg.
»Komm schon, versuche es!«
Jok schnaubte.
»So wenig traust du mir zu? Nein, mein Lieber, acht Schillinge habe ich angespart! Wenn einen die Sehnsucht treibt, ist keine Arbeit zu hart. Ich kaufe mir Schafe. Ein bißchen heller muß man sein im Kopf, dann kommt man ganz von selbst darauf. Was haben die reichen Bauern, das die armen Bauern nicht haben? Schafe. Sie verdienen Unmengen mit der Wolle und der Milch, glaub mir das. Und das teure Fleisch, die Haut für Pergamente und das Fett für Talglichter! Schau mal.« Er umfaßte die Sitzbank und streckte die Füße in die Luft. Schuhe bohrten ihre Lederspitzen in den Himmel. »Heute habe ich sie an, obwohl es gar nicht in die Kirche geht. Lach nur, Jok. Ich weiß schon, was ich tue. Wenn du eine Frau haben willst, mußt du zuerst ihren Vater beeindrucken. Ich wünschte, Mays Vater wäre nicht ausgerechnet der Vogt und der reichste Bauer im Umkreis von zwölf Meilen.«
Jok nickte.
»Immerhin besitze ich einen eigenen Pflug, einen Wagen und dich. Und ich habe zu Beginn der Pacht vierzig Schillinge Eintrittsgeld bezahlt. Zwei Pfund! Ist das nichts?«
|62| Jok
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