Die Brillenmacherin
Viertelpfennig. Unmöglich. Das wäre eine Beleidigung.
Elias mußte in der Nacht nach oben gekommen sein. Die Truhe in der Küche wäre ein gutes Versteck. Catherine eilte die Treppe hinauf, durch das Eßzimmer, in die Küche. Sie ließ die Tür offen für ein wenig Licht und hob den Truhendeckel an. Der Zwiebelkorb. Die Mehlkiste. Altes Brot. Sonst nichts.
Im Ofen konnte er das Geld verborgen haben. Sie ließ den Truhendeckel fallen und trat in das Eßzimmer. Vor der Ofenöffnung kniete sie nieder und löste den eisernen Riegel. Asche stäubte ihr entgegen. Sie hatten den Ofen einmal geheizt, um zu sehen, ob er gut zog und das Feuer mit genügend Luft nährte. Vorsichtig schob sie den Arm in den samtenen Aschehaufen und befühlte die Kacheln. Kein Beutel.
Da bemächtigte sich eine Ahnung ihres Herzens. Was, wenn er dem Mörder das Geld gegeben hatte? Hatte er nicht davon gesprochen, daß jemand sein Wort gehalten habe? Womöglich hatte der Mörder versprochen, sie nicht zu töten, wenn Elias ihm das Versteck des Geldsacks verriet.
|75| Sie schlich hinunter in die Werkstatt, tastete hinter den Rohglasscheiben, zwischen den Schleifschalen, neben dem Stapel von Holzplatten für die Brillenrahmen. Der Linsenkasten war kein sonderlich gutes Versteck, aber es war eine Möglichkeit. Sie versuchte, den Deckel anzuheben. Er rührte sich nicht.
Der Deckel war verkehrt herum auf den Kasten gesetzt. Deshalb klemmte er.
Nicht Elias hatte den Kasten geschlossen.
Die Hände des Mörders waren es gewesen.
Ein kalter Hauch zog von Catherines Knien zum Genick. Es kostete sie Überwindung, den Kasten zu berühren. Der Tod haftete ihm an, und der Schmutz der Mörderfinger. Mit bebenden Händen riß sie ihn auf. Die Linsen schepperten. Kein Geldsack.
Keine Pergamente.
Vom Hof her knarrte die Außentreppe. Burgwhenna. Die Holzschuhe der Alten schlappten am Haus entlang. Jeden Augenblick würde sie hereinkommen. Burgwhenna klopfte nie.
Catherine raffte Tücher zusammen, tunkte sie in die Pfütze. Sie wischte, drehte die Tücher, schob das nasse Rot vor sich her. Als die Tür aufschwang, warf sie die Bürste und die Tücher in den Eimer. Wasser schwappte auf Elias Bauch.
»Meine Beste«, krächzte es von der Tür her, »ich wollte nur fragen, ob du mir Käse mitbringen kannst, wenn du zum Markt gehst.«
»Machst du bitte die Tür zu?«
»Was hast du gesagt?«
Catherine sprang auf.
»Wenn sie guten Käse haben, holst du für fünf Pfennige, sonst nur für drei, ist das recht?«
Sie stieß die Tür zu. Dann wies sie schweigend auf Elias.
Die Alte ließ das Hörrohr fallen und schlug die Hände vor den Mund. Die wäßrigen Augäpfel zuckten. »Geht es ihm nicht gut?«
Catherine hob das Hörrohr auf und preßte es Burgwhenna gegen das Ohr. »Er ist tot«, sagte sie. »Ich gehe den Coroner |76| holen.« Für das Blut würde sie eine gute Erklärung brauchen, aber sie konnte vor Burgwhennas Augen weder weiter wischen, noch konnte sie es hinauszögern, den Coroner zu rufen, ohne daß es Verdacht erregte. Das Blut erhöhte den Preis. »Sag, kannst du mir einen Schilling leihen? Oder zwei? Holst du sie herunter, daß der Coroner sie bekommt, wenn ich mit ihm hier bin?«
Catherine wurde mit erstaunlicher Kraft am Arm gepackt und festgehalten. Die Alte sah ihr ins Gesicht. »Natürlich helfe ich dir«, sagte Burgwhenna. Sie langte hinauf zu Catherines Nacken und zog sie herab in eine Umarmung. »Es tut mir leid. Es tut mir sehr leid.«
Pergamentene Haut strich sanft über Catherines Hals. Sie wollte sie abschütteln, wollte sich wehren. Dann brach ein Laut aus ihrem Mund, fremd, er war von irgendwoher gekommen, sie wußte es nicht zu sagen. Warme Nässe rann über ihre Wangen. Sie schloß die Augen. In ihrem Bauch formte sich eine Feuerkugel und wälzte sich aufwärts. Elias, ihr Gefährte, war fort und würde nicht wiederkehren. In den alten Händen, die sie hielten, fühlte Catherine sich plötzlich verlassen.
Sie löste sich aus der Umarmung. »Danke, Burgwhenna.« Es durfte sie nicht erfassen, nicht jetzt. Die Trauer hatte zu warten.
Auch die Wangen der Alten waren naß. »Du hast das nicht verdient, Mädchen.«
Catherine nickte. Dann schob sie die Tür auf und trat auf die Straße hinaus. Es dämmerte bereits. Wenn sie sich nicht beeilte, würde der Coroner ihr kaum glauben, daß sie gerade erst von einem Besuch bei ihrem Bruder heimgekehrt war. Niemand reiste in der Dunkelheit.
In der Fletcher Gate schüttete jemand
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