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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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aus dem dritten Stockwerk Abfälle auf die Straße. Es spritzte bis zu Catherines Brust hinauf. Saurer Gestank biß ihr in die Nase.
    »Verzeiht!« kam es von oben. »Ich habe Euch nicht gesehen.«
    |77| Seit Jahren war es verboten, Abfälle aus dem Fenster zu werfen. Es konnte ein sattes Bußgeld kosten, wenn man sich dabei erwischen ließ. Catherine sog den stechenden Geruch tief in ihre Lunge ein. Er gab dem Tag einen Namen, und auf seltsame Weise tat es ihr wohl.
    Hundegebell hallte von den Hauswänden wider. Aus einer Seitengasse brach eine Sau heraus, gefolgt von einer Meute Straßenhunde. Dahinter liefen Männer. Die Sau mußte aus dem Stall entwischt sein. Aber ging es ihr nun besser? Hatte sie sich diese Art von Freiheit erträumt?
    Die Goose Gate. Gerade schlossen die Wachen das Stadttor am Ende der Straße. Aus der Grauen Gans dröhnte Gelächter. Hier würde der Coroner, über einen Becher Ale gebeugt, sitzen und darauf warten, daß jemand starb, damit er bezahlen konnte, was er den Tag über gesoffen hatte. Dafür war Elias nicht gestorben. Catherine legte die Hand auf das glänzende, abgegriffene Holz der Tür und atmete schwer. Durch die Ritzen der Tür kroch ihr warme, rauchige Tavernenluft entgegen.
    Sie trat ein und überflog mit den Augen die Scharen der Säufer. Wo steckte er? Mit schräggelegtem Kopf blickte sie unter die Tische. Auch dort konnte sie den Coroner nicht entdecken.
    »Ich komme«, sagte eine Stimme neben ihr.
    Sie schrak zusammen. Der Coroner saß nicht bei den Säufern, sondern gleich neben der Tür. Er stand auf, selbstverständlich, als habe er auf sie gewartet. Den Becher ließ er bis zum Rand gefüllt zurück.
    Würde einer wie er nicht zuerst austrinken? Und wie kam es, daß sein dunkler Blick klar war? Wo war der faserige Augenrand des Säufers, der mühsam die Träume zurückhält und an nichts denken kann als an den nächsten schäumenden Trunk?
    Der Coroner schob sich an ihr vorbei.
    »Elias, ich habe ihn bei meiner Rückkehr –«
    Er hörte nicht zu. Der Coroner schritt kräftig aus. Seine Stiefel zerquetschten Kot. Er warf kurze Blicke zu den Seiten, verharrte mit den Augen an diesem Hauseingang und an jenem. |78| Womöglich erinnerte er sich an Todesfälle und sah die Gesichter der Verstorbenen vor sich. Wie er die Fersen aufsetzte, wie er den Nacken steifte! Catherine wurde das Gefühl nicht los, daß er zornig war. Was, wenn ihn die Bailiffs gerügt hatten und er heute den Beweis antreten wollte, daß er ein unnachgiebiger Wahrheitsforscher war, unbestechlich, von gerechter Härte?
    Sie bogen in die Fletcher Gate ein. Der Coroner fragte nichts, sah sie auch nicht an. Er lief stumm neben ihr. Fletcher Gate, die Straße der Fleischhauer und Schlachter – kein Ort in Nottingham stank wie dieser. Gedärm wurde an Hunde verfüttert. Auf einem Karren lagen Tierhäute, naß, blutig. Ein Glatzkopf saß vor einem Hauseingang und wetzte Scharten aus seinem Beil. Catherine kannte ihn nicht, aber er schien sie zu kennen: Sein Blick wanderte zwischen dem Coroner und ihr hin und her. Das Gesicht strahlte Ruhe aus, als habe er Elias’ Tod kommen sehen und als sei er nun zufrieden, sich bestätigt zu wissen.
    Als der Coroner und Catherine den Hügel der Bottle Lane erklommen, trat die Frau des Gewandschneiders aus ihrem Haus. »Elias?« rief sie. »Oh, nicht Elias, der gute Mann!«
    In den Fenstern der Familie aus York erschienen die Gesichter der halbwüchsigen Mädchen. Sie wisperten. Die Jüngere zeigte mit dem Finger auf Catherine, ihre Schwester schlug ihr den Arm herunter und zischte Tadel.
    Der Coroner blieb vor der Tür der Werkstatt stehen. »Hier drin?«
    Eine Haut von Eis legte sich über Catherines Gesicht. Der Mörder mußte den Coroner bestochen haben. Deshalb hatte er in der Grauen Gans bereits gewartet, deshalb war er nicht betrunken. Er sollte sie schuldig sprechen.
    »Was ist?«
    Catherine nickte.
    Er trat ein. Drinnen wich Burgwhenna zurück, als verbreite der Coroner Pestgeruch.
    Seine Blicke streiften kurz den Toten, dann wanderten sie über die Werkzeuge, das Regal mit den Schleifschalen, die |79| Deckenbalken, den Stützpfeiler. Er schlich einige Schritte, verharrte erneut und spähte.
    Catherine schloß die Tür hinter sich.
    »Nein, bitte.« Der Coroner ruderte widerwillig mit der Hand. »Ich brauche Licht.«
    Sie öffnete die Tür wieder. Menschen sammelten sich auf der Straße und gafften in die Werkstatt.
    Der Eimer war fort. Und von der Lache keine

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