Die Brillenmacherin
Mundwinkel zuckten. »Eine Überraschung.
Vide mirabilia Domini.
Siehe die Wunder des Herrn.«
Die Bürste fauchte über die Steine. Bald färbte sich die Wasserpfütze rot. Von den glatten Flächen löste sich das Blut, in den Ritzen zwischen den Steinen aber hielt es sich hartnäckig. Catherine rieb die Bürste darüber, als gelte es ihr Leben. Fort damit! Keine Spur von Rot mehr!
Elias lag gewaschen und frischgekleidet neben ihr. Er sah aus, als ob er schliefe. Ein bleicher, müder Mann. Nicht alt genug. Der städtische Coroner würde die Sache untersuchen.
Es durfte nicht bekannt werden. Elias ermordet! Die ganze Bottle Lane würde flüstern. Die Nachricht würde auf dem Geflügelmarkt mit den Hennen verkauft werden, mit jedem Federvieh der Satz: Der Brillenmacher erstochen, heute nacht! Die Frauen würden es ihren Männern berichten, in den Tavernen würden die Wirte davon sprechen, und die Reisenden würden es weitertragen in andere Orte. Der Brillenmacher von Nottingham erstochen!
Bald würde Elias nicht mehr der wunderschaffende Linsenschleifer sein. Er wäre der Erdolchte, der Ermordete. Und sie die Frau, auf die Verdacht fiel.
Dabei spürte sie, daß es mit Latimer zu tun hatte. Hatte der Ritter nicht von einem Dolch gesprochen und Verrätern gedroht? Vielleicht hatte Elias ihn tatsächlich bestohlen, vielleicht hatte er die Pergamente aus der gut bewachten Kanzlei entwendet. Aber warum? Elias war als gerechter Mann gestorben, erdrückt von Angst, aber nicht von Schuld. Er war Brillenmacher! Und wer ihn ermordet hatte, würde dafür büßen müssen.
Zuerst allerdings mußte sie ihren Kopf aus der Schlinge ziehen.
Der Coroner war ein Säufer, leicht zu bestechen, die ganze Stadt wußte es. Selbst wenn er sie von Schuld freisprach, man |73| würde den Gerüchten eher glauben als ihm. Der goldverzierte Dolch – sie würden sagen: Sie hat einen Geliebten unter den Reichen der Stadt, und er hat ihr das Messer gegeben, er hat ihr zugesprochen, töte ihn, dann sind wir frei, und sie, die Kaltblütige, hat es getan.
Es mußte aussehen wie ein ganz gewöhnlicher Tod. Erst wenn das allseits angenommen wurde, würde sie den Mörder suchen. Sie würde für Gerechtigkeit sorgen, etwas, das dem Coroner in den seltensten Fällen gelang. Sie würde Elias –
Sie sah zur Tür. Zwei Schatten durchbrachen den lichtgleißenden Schlitz unter der Tür. Dort stand jemand. Es klopfte.
Die Bürste löste sich aus ihrer Hand. Sie schlug auf dem Boden auf: Knochen gegen Stein. Catherine schluckte.
Es klopfte erneut.
Sie stand auf. Die Schatten im Schlitz bewegten sich.
»Ich komme!« rief sie. Mit einem Tuch wischte sie sich die Hände trocken. Der rote Schimmer wollte sich nicht ablösen. Sie hastete zur Tür und zog sie um einen Spalt auf.
»Im Auftrag der Stadt Nottingham.« Das bärtige Kinn, das die Worte hervorgekaut hatte, erlahmte. »Wo ist Euer Mann, der Brillenmacher?«
»Unterwegs. Was wünscht Ihr?«
»Ich bin hier im Auftrag der Stadt Nottingham. Nach einem Beschluß der Bailiffs sollen Steine vom Ufer des Trent heraufgeholt werden. Die Bottle Lane soll ein Straßenpflaster erhalten.«
»Ist uns recht.«
»Jeder Hausbesitzer muß das Stück vor seiner Tür bezahlen.«
»Gut.«
Die Brauen des Mannes fuhren in die Höhe.
»Was habt Ihr erwartet? Daß ich Euch vorhalte, daß hier sowieso keine Fuhrwerke durchkommen, weil es zu eng ist? Daß ich nicht einsehe, warum die Bottle Lane auf unsere Kosten gepflastert werden soll?«
»So ungefähr.«
|74| »Ich werde mit meinem Mann reden. Bitte kommt später wieder.«
»In drei Tagen wird die Zahlung in der Gildenhalle erwartet, sechs Schillinge.«
Wortlos schloß Catherine die Tür. Sie kniete sich neben Elias nieder, um seine Stirn zu streicheln, und zuckte zurück. Er war kalt. »Sie wollen die Straße pflastern«, flüsterte sie. »Können wir das bezahlen?«
Silber. Sie mußte Silber mitnehmen, wenn sie den Coroner holte. Nicht zuviel, damit es nicht wie Schweigegeld aussah, aber auch nicht zu wenig, um ihn nicht in Mißstimmung zu versetzen. Hatte Elias die zweihundertdreißig Schillinge mit sich getragen, als er gestern heimkehrte? Ein prallgefüllter Beutel – hätte sie ihn nicht spüren müssen bei der Umarmung?
Sie bewahrten immer einige Münzen im Krug bei den Schleifschalen auf. Catherine ging hinüber, schwenkte ihn. Eine klägliche Münze rollte Bahnen im Bauch des Krugs. Sie drehte ihn um. Ein Farthing fiel heraus, ein
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