Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Junge senkte den Kopf. »Du warst so verloren. Wie ich.«
    »Unfug. Er kann gehen, siehst du das nicht? Ich hätte mich nicht die letzten Stunden mit zwei Mehlsäcken von einem Kerl herumquälen müssen. Und wir würden nicht die Speisung verpassen.«
    Sie marschierten schweigend, bis sich der Ton einer Glocke über den Baumwipfeln bog. Der gleichförmige Klang, immer wieder angeschlagen und gekrümmt, ließ den Bärtigen zusammenzucken. »Verdammt!« Er begann zu laufen.
    Alan blieb zurück.
    Er erreichte allein den Waldrand und wanderte zwischen Feldern und Heideland auf eine Siedlung zu. Inmitten der Häuser streckte eine Eiche die Äste in den Himmel. Zu ihrer Linken grenzten Mauern an die Straße. Dort drängten sich Krüppel, Blinde, Zerlumpte vor einen Torbogen.
    »Das Paradies«, rief jemand. Die Antwort war Gelächter ohne Freude, Jaulen wie von einem Rudel Wölfe. Balgereien brachen aus, Kämpfe um den besten Platz. Wer vorn stand, wurde von denen in der zweiten Reihe belauert, um im letzten |83| Augenblick zurückgerissen zu werden, die Klauen schwebten schon über den Schultern. Die ersten hingegen spähten hinter sich, bereit, sich zu ducken. Sie stemmten die Fäuste in die Hüften und versperrten mit spitzen Ellenbogen den Weg nach vorn.
    Ganz hinten stand der Bärtige mit dem Kind und warf Alan finstere Blicke zu.
    Der Riegel klappte. Die hölzernen Torflügel zitterten. Erwartung knisterte von einem zum anderen.
    In der Toröffnung erschienen vier Männer in schwarzen Kutten. Dürre Hände streckten sich ihnen entgegen: »Hier! Hier!« Es wurden Brote weitergereicht und in der Luft zerrissen. Andere verschwanden durch Taschenspielertricks. Die Diebe tauchten in der Menge unter und machten sich mit ihrer Beute aus dem Staub.
    Aleflaschen folgten, bauchige Gefäße, die man streichelte und küßte. Die Wölfe vergaßen ihren Streit und feierten. Sieben Flaschen waren es für zwei Dutzend Kehlen, aber die Glücklichen vor dem Tor schrillten, johlten, als würde das Ale nie versiegen. Schaum lief ihnen über die Wangen, sie tranken gierig. War ihnen die Flasche entrissen, wischten sie sich das begehrte Naß aus dem Gesicht und leckten es von den Händen. Die Wölfe feierten ihr Unglück, um es zu vergessen.
    Als die Mönche den Bettelnden die Torflügel entgegenschoben, kämpfte sich Alan nach vorn. Er rief: »Wartet! Ich muß den Abt sprechen.«
    Die Kanoniker taten, als hätten sie es nicht gehört.
    »Mir ist ein Unrecht geschehen!« Er war fast vorn, trat um sich, stieß Körper beiseite.
    Die Zerlumpten klopften ihm auf die Schultern. »Unser armer Bruder«, riefen sie. »Ihm ist ein Unrecht geschehen.«
    Durch den Torspalt sprang Alan in die Arme der Mönche. Er riß sich los und rannte ein Stück. Es schien tatsächlich das Paradies zu sein. Ein Weg führte in sanftem Bogen über eine Wiese hügelab. Obstbäume säumten ihn. Der Weg lockte in einen kleinen Wald hinein, aus dem eine mächtige steinerne Kirchturmspitze heraufragte.
    |84| Die Schwarzkutten kamen ihm nach.
    Da erblickte er vor einer Rosenhecke eine kleine Gestalt in weißem knöchellangem Gewand.
    »Herr Abt!« schrie er. »Helft mir!«
    Der Weiße bog sich eine Blüte heran und versenkte die Nase darin.
    »Bitte, Ihr müßt mir helfen!« Man packte ihn, um ihn fortzuschleppen. Mit aller Kraft rammte er die Ellenbogen in fremde Rippen. Er biß in warmes Fleisch. Endlich war er wieder frei. »Herr Abt!«
    Die Gestalt drehte sich um. Im Kindergesicht lächelten weiche Lippen.
    »Der Kastellan von Nottingham, Nevill – er hat mein Haus in Schutt und Asche gelegt. Man hat mich geschlagen, hat versucht, mich umzubringen. Die Saat hat man vernichtet und mein treues Pferd gestohlen. Auch ein Ritter wie Nevill kann nicht ungestraft toben, ist es nicht so? Helft mir, ich flehe Euch an!«
    Der Kindliche winkte die Mönche fort. An seiner Hand prunkte ein Ring aus rotem Gold von der Größe eines Holzapfels. Er sagte: »Spazieren wir ein wenig unter den Obstbäumen. Es wird deiner Seele Ruhe schenken.«
    Alan folgte ihm, obwohl ihn die gemessenen Schritte zornig machten, ihn, der treten wollte und schlagen. Er dürstete nach Rache. Um sich zu bezähmen, versuchte er, seine Aufmerksamkeit auf den goldenen Brocken an der Rechten des Abtes zu lenken. Offensichtlich fiel er nur deshalb nicht vom Finger, weil ein zweiter, kleinerer Ring ihn hielt. Zwei Gesichter schimmerten auf der Oberfläche des Brockens, und zwischen ihnen war ein Kreuz in das

Weitere Kostenlose Bücher