Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
seinen Nachbarn preßt – lebe ich nicht im gleichen Dorf wie du? Ich will dir sagen, wem du die Härte verdankst.«
    »Schieb es nicht auf den Earl. Du allein hast diese Sachen in der Hand.«
    |67| »Es ist nicht der Earl.« Der Vogt zog ihn zum Fenster. »Siehst du das Banner mit dem silbernen Löwen?«
    »Die Fahne der Mowbrays. Und?«
    »Sie weht auf den Türmen. Aber nun schau dir das Tor zur Hauptburg an. Welches Banner hängt zu beiden Seiten unter den Pechnasen?«
    »Ein weißes, von roten Linien durchkreuzt.«
    »Das ist das Wappen William Nevills. Nevill, sagt dir der
    Name etwas? Ralph Nevill, der Vater unseres Kastellans, führte für König Edward den Feldzug gegen die Schotten. Er rettete Durham und nahm David Bruce, den König der Schotten, gefangen. William Nevill, sein Sohn, ist ein enger Vertrauter König Richards, ein Kammerritter, weißt du, was das ist?«
    Alan schwieg.
    »Es gibt nicht viele, die sich so nennen dürfen. Sie beraten den König. Er traut ihnen mehr als seiner eigenen Familie. Mögen die Fahnen der Mowbrays über Nottingham Castle wehen – es ist dieses weiße Banner mit den roten Linien, das die Burg beherrscht. Verstehst du, warum ich hart sein muß? Du bist ein netter Bursche, ich würde dir gern helfen, aber über mir wacht die Hand William Nevills. Ich bin eine Laus für ihn, die er zwischen den Fingern zerdrückt, wenn es ihm beliebt.« Der Vogt klopfte Alan auf die Schulter. »Es tut mir leid. Ich kann nichts für dich tun.«
    »Augenblick. Vielleicht hast du größeres Interesse daran, mir zu helfen, wenn ich dir sage, daß …« Alan verstummte. May hatte die Augen niedergeschlagen. Ihre Wangen röteten sich. Zürnte sie ihm, weil er im Begriff war preiszugeben, welche heimliche Zuneigung sie verband? Gab es diese Zuneigung überhaupt? Wer sagte ihm, daß May nicht in gleicher Weise freundlich zu den anderen Burschen war? Und wenn sie ihn besonders mochte, zerstörte er nicht das Zarte, Geheimnisvolle, indem er es ans Licht zerrte?
    »Nein, Alan. Die Antwort ist nein.« Der Vogt schob ihn zur Tür. »Und ich möchte nicht, daß du ihr nachstellst, hast |68| du mich verstanden? Du hast einen Hang dazu, dich zu überschätzen.«
     
    »Bastard«, stieß Alan zwischen den Zähnen hervor, als er auf den Wagen kletterte. Einen Hang, sich zu überschätzen – den hatte wohl eher der Vogt. Er war ein Bauer wie die anderen auch, hatte er das vergessen? Der Earl erließ die Pacht; so war es keine Kunst, reich zu werden. Das beste Stück Land, das das Dorf zu bieten hatte, besaß der Vogt. Niemand erzielte mit seinem Acker Erträge wie er. Aber das gab der Boden her, es war nicht das Können des Vogts.
    Alan würde gleich heimkehren. Er würde die Schwester nicht besuchen. Sie war keinen Halfpenny besser als der Vogt. Einen Brillenmacher zu heiraten, war das ein Verdienst? Dieser Elias war alt. Wenn er starb, würde sie die Werkstatt übernehmen. Wer sie dann heiraten durfte, eine Brillenmacherin, konnte von Glück reden. Überall dasselbe: Menschen, die sich aufblähten, die sich mit Erfolgen schmückten, die ihnen zugefallen waren, und diejenigen unterdrückten, die tatsächlich auf ihrer Hände Arbeit angewiesen waren.
    Auf einem abgeernteten Feld vor der Stadt suchten Gänse nach Körnern. Plötzlich liefen sie auseinander, nur eine blieb, zischte, schlug mit den Flügeln. Sie suchte ihre Jungen vor einem Habicht zu bewahren, der zwischen sie gefahren war. Nun schrie auch der Junge, der die Gänse hütete. Er zog sich die Gugel vom Kopf und schlug mit Kragen und Kapuze nach dem Raubvogel, dazwischen Hiebe mit der Haselrute austeilend. Der Habicht stieß ärgerliche, schrille Rufe aus. Endlich flog er davon, ein Gänseküken in den Krallen.
    Es wurde eine stille, düstere Fahrt. Gut, daß die Ernte eingeholt war. Alan würde zum Dreschplatz gehen und bis in die Nacht den Flegel niedersausen lassen.
     
    Bei seinem Haus standen Reiter. Sieben mochten es sein oder acht. Was wollten die? Alan trieb Jok zur Eile an. Wieso rührten sie sich nicht? Sie saßen da auf ihren Rossen und blickten |69| ihm entgegen, als hätten sie den ganzen Tag auf ihn gewartet. In ihren weißen Waffenröcken leuchteten sie wie Engel vor dem dunklen Stoppelfeld.
    Alan sank das Herz in die Hose. Die Waffenröcke waren von roten Linien durchkreuzt. Diese Reiter gehörten zu William Nevill.
    Sie schwiegen auch dann noch, als er den Wagen vor dem Haus zum Stehen brachte. »Vergebt mir, daß ich fort war.

Weitere Kostenlose Bücher