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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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werde: Ich werde das Feld pflügen, auch ohne Jok, und wenn es bedeutet, daß ich die Erde mit einem Spaten eigenhändig umwenden muß. Ich werde eine Hütte bauen, und ich werde Holz sammeln für den Winter. Nächstes Jahr säe ich Weizen.«
    »Alan, höre auf mich. Es ist jetzt nicht die Zeit für Mut, es ist die Zeit für eine weise Entscheidung. Rette dich! Wenn du es nicht für dich tun willst, dann tue es für mich. Ich war in den letzten Wochen viel in der Burg. Ich habe gesehen, was Nevill mit Menschen macht, die sich ihm entgegenstellen.«
    »Wenn er morden will, mordet er, das muß er selbst vor Gott verantworten. Ich bin Pächter, und ich lebe, um diesen Acker zu bestellen.«
    »Warum tust du das?« Sie kniff die Augen zusammen. »Du weißt doch genau, daß du mir Leid zufügst.«
    Die Hand, die nicht die seine war, umfaßte die schmale Frauenschulter. Alan konnte spüren, wie sie sich hob und senkte. Mays Atem ging schnell.
    »Laß mich los.« Sie wand sich frei. Noch einmal blickte sie ihn an, dann kehrte sie Alan den Rücken und ging auf die Mauer am Feldrand zu.
    |111| Unvermittelt blieben ihre Füße im Acker stecken.
    Alan öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Tonlos schloß er die Lippen. Mays Vater stand am Mäuerchen.
    Alan fühlte sich, als habe er sämtliche Kirschen der Welt gestohlen. Knüpft ihn auf, würde der Vogt jeden Augenblick sagen, knüpft ihn auf, den Hund. Noch schwieg er, als sammelte er seinen Zorn, um ihn in einem gewaltigen Ausbruch zu entladen. Da haben wir ihn, sagten seine Augen. Hängt ihn an den erstbesten Baum, hoch oben soll er schwanken, daß alle es sehen, meine ungehorsame Tochter zuerst.
    May drehte sich um, machte Schritte zu Alan hin.
    »May«, drohte der Vater.
    Sie trat an Alan heran. Ihre Augen glühten. Schmale, zitternde Hände schlossen sich um seinen Nacken. »Darf ich dich küssen?«
    Alan senkte den Kopf zu ihr hinunter. Sie schloß nicht die Augen, und so hielt auch er sie offen. Als sich ihre Münder berührten, jagte ein Donner durch seinen Bauch. Die Lippen ließen voneinander ab. Dann trafen sie zu einer zweiten Begegnung zusammen, kräftiger. In Mays Augen stand süßes Entsetzen.
    Der Vater schrie ihren Namen.
    »Es ist«, flüsterte sie, »als würde ich einen Toten küssen. Gebe Gott, daß du verschont bleibst.«
    Er hob die Hand und streichelte ihr Gesicht. »Ich werde leben.«

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    |112| 11
    Der Lärm der Stadt drang durch das Schlafkammerfenster. Hähne krähten, Hunde kläfften, Räder klapperten über das Straßenpflaster. Catherine wickelte sich das Kissen um den Kopf, nur den Mund ließ sie hinausschauen.
    Daß sie in der Mitte des Bettkastens lag und Elias keinen Platz übrigließ, belastete ihr Gewissen. Aber glich es nicht einem Hilferuf? Es ging ihr schlecht, man mußte das sehen daran, daß sie nicht zu Rücksichtnahme fähig war.
    Elias war tot. Da war niemand, auf den sie Rücksicht nehmen konnte. Niemand, der sie fragte, wie es ihr ging. Sie lag im Bett, um den Qualen zu entkommen: Dem Ziehen im Rücken, dem Reißen im Bauch, dem fahlen, Übelkeit hervorrufenden Geschmack im Mund.
    Schlafen mußte sie! Die Erlösung kam, wenn sie schlief. Leise summte sie ein Lied, das sie aus Kindheitstagen kannte:
Lullay, lullay, sleep softly now, hush, my child, the morning star, lullay, lullay, is watching over you, lullay.
Ihre Stimme, vom Kissen dumpf zurückgegeben, beruhigte sie. Sie vergaß die Schmerzen. Inmitten des Kehrverses brach sie den Gesang ab. Sie lauschte auf ihren Herzschlag und auf den rauschenden Atem. Süße Mattigkeit drückte sie in den Strohsack hinab.
    Da begann das Wispern. Feine Stimmchen erwachten in der Schlafkammer und flüsterten. Sie sangen das Schlaflied. Sie kicherten und zischten. Von der Treppe antworteten Hunderte. Aus der Werkstatt Tausende. Im ganzen Haus flüsterte es.
    Catherine spürte, daß sie erwachen mußte. Sie mußte nachschauen, wo diese Stimmen herrührten. Das wohlige Kissen wollte sie nicht hergeben. Die Träume ketteten sie an den Strohsack im Bettkasten, und so schlief sie, obwohl sie darum kämpfte aufzuwachen.
    |113| Etwas kroch in ihren Hals und behinderte den Atem. Warum gab sie der Schlaf nicht frei? Sie war in Gefahr, das fühlte sie deutlich. Bewege dich! befahl sie sich. Sag etwas! Reiß die Augen auf! Es gelang ihr nicht.
    Endlich hustete sie. Die Ketten rissen. Catherine erwachte. Finstere Rauchwolken hüllten sie ein. Knistern erfüllte das Haus. Es krachte und blitzte, Funken

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