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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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schöner.
    Catherine mußte gehen, sie konnte nicht mehr stehen. Die Beine bebten, der Atem zitterte. Wie sollte ihr je verziehen werden? Der Fluch war deutlich zu erkennen. Sie hatte Gott vernachlässigt, und nun hatte sich der Teufel in ihrem Leben eingenistet, wie sich in Kindertagen die Katze auf den Stuhl der Mutter geschlichen hatte, wenn die Mutter das Haus verließ. Sie hatte zu wenig gebetet, zu wenig an Maria und an die Heiligen gedacht. War sie denn besser als eine Hexe? Sie war verflucht, genauso verflucht wie die, die Hexerei betrieben.
    Die Hände in die Haare gekrallt, stolperte sie fort von der Kirche. Elias’ Grab besuchen? Nicht auszudenken! Sie würde |118| den Fluch auf heilige Erde schleppen. Warum lebte sie noch? Hatte nicht ein Engel sie aus dem brennenden Haus gerettet, sie geweckt und durch die Flammen die Treppe hinuntergeleitet?
    Oh, sie war zu winzig! Gott sah sie überhaupt nicht. Der heiße Sturm fegte über ihr Leben hinweg, ohne daß der Ewige ihr Schreien hörte.
    »Ich will mich beugen!« rief sie. »Ich will fortan eine fleißige Beterin sein, ich will mich ändern. Nur rette mich und mein Kind!« Fort, fort aus Nottingham. Sich beugen, sich bessern.
     
    Die Straße nach Osten war menschenleer. Ein sanfter Regen wehte Catherine in die Kleider. Ihre nackten Füße durchwateten Pfützen. Auf den Hügeln grasten Schafe. Die Vögel sangen, trotz des Regens.
    Der graue Schleier, der am Horizont zwischen den Wolken und der Erde hing, tröstete Catherine. Das Rauschen des Regens tröstete sie. Es war ein großer Klang. Eine Geste, die weit ausholte.
    Alan würde ihr Unterschlupf gewähren. Hier würde sie von neuem beginnen.
    Am Fuß des Hügels begann das Mäuerchen. Wie hoch es geworden war! Alan mußte fleißig Steine vom Acker gelesen haben. Als sie ihn das letzte Mal besucht hatte vor zwei Jahren, reichte es ihr kaum bis zum Knie. Nun mochte die Mauer als Schafhürde herhalten. Ob sein Traum bereits erfüllt war? Sie lauschte auf ein Blöken. Es war still. Er war auch nicht auf dem Acker, obwohl doch im September gepflügt wurde. Alan war immer fleißig gewesen. Ein einfacher Regen hielt ihn für gewöhnlich nicht von der Arbeit ab.
    Wo war das Haus? Einen schwarzen Haufen konnte sie ausmachen, aber –
    Sie rannte los. Der Fluch! Der Fluch war ihr vorausgeeilt. Es hatte nicht nur das Brillenmacherhaus getroffen. Das Böse war nicht in Nottingham geblieben, es hatte Alan ebenso hinweggefegt wie sie. Lebte er? Lebte der Bruder?
    |119| Bei der Ruine fiel sie auf die Knie. Sie reckte das Gesicht zum Himmel hinauf. Zwischen das Regenwasser auf ihren Wangen mischten sich heiße Tränen. »Warum, Gott? Wieso tust du uns das an? Waren wir nicht mit Vaters frühem Tod genug gestraft und mit der verwirrten Mutter? Du hast mir Elias genommen, du hast mir die Schleifschalen geraubt und das Dach über dem Kopf fortgerissen. Nun auch noch Alan? Was habe ich noch? Wie soll ich leben? Du hast doch einen Plan, oder etwa nicht? Höre Catherine Rowe! Hast du sie vergessen? Catherine, das bin ich. Catherine Rowe. Höre mich! Willst du mich gänzlich zerschlagen? Deine Folter ist schrecklich, o Gott!«
    »Cath!«
    Nur Alan nannte sie so. Wieder rief er vom Waldrand. Sie sprang auf. Dort stand er. Sobald er sah, daß sie ihn bemerkt hatte, zog er sich unter die Bäume zurück.
    Sie raffte das Kleid und stürmte über den Acker, daß die aufgeweichte Erde von ihren Zehen in die Luft geschleudert wurde. »Alan!« Plötzlich dunkle Schwaden vor den Augen. Die Knie gaben nach. Alles Licht verlosch. Irgendwann spürte sie die Arme des Bruders, als hielten sie nicht ihren, sondern einen fremden Körper. Seine Stimme war so leise, daß sie ihn nicht verstehen konnte. Erst allmählich kam sie wieder näher.
    »Was ist mit dir?«
    Sie hauchte: »Ich trage ein Kind in mir.«
    »Und da kommst du hierher?«
    Mühsam setzte sie sich auf. Über ihnen breitete eine Buche ihre Äste aus und ließ nichts vom Regen hindurchdringen. Alans Gesicht war zerbeult. Blaue, grüne und gelbe Flecken übersäten die Arme und die Wangen.
    »Ein Fluch«, sagte sie.
    Alan nickte. »Daß ich überhaupt noch lebe, ist ein Wunder. Sie suchen mich. Man will mich aufknüpfen. Nein, sag nichts. Ich kann nicht bei euch unterschlüpfen. Gerade bei dir und Elias würden sie mich finden. Das Ganze geht von Nottingham aus. Nevill hat es auf mich abgesehen, ich weiß nicht, warum.«
    |120| »Elias ist tot.«
    Seine Augen weiteten sich. »Er war

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