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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wollen, warum haben sie es nicht gleich getan?«
    »Ich weiß es nicht. Für irgend etwas wollte Nevill dich bestrafen und hat deshalb das Haus anzünden lassen. Nun aber, wo du gegen ihn gesprochen hast beim Erzbischof, wird er ein |108| Beispiel aus dir machen für alle, die sich gegen ihn auflehnen könnten. Du kannst nicht gewinnen gegen Nevill.«
    »Was wird aus dir, wenn ich gehe?«
    »Vater wird mich verheiraten. Wenn es sein muß, tut er es gegen meinen Willen.«
    Er sah zur Ruine hinüber. Die Kanten verschwammen, die Mauer wurde zum fließenden, grauen Wurm. Alans Augen brannten. Er hatte das Bedürfnis, Korn zu dreschen, und wenn es keine Ähren mehr gab, die der Flegel treffen konnte, dann wollte er die leere Tenne prügeln. »Sag mir etwas Schönes, etwas Gewöhnliches. Es muß doch noch Leben geben im Dorf. Geht das nicht einfach weiter, das Leben? Sterben und Geborenwerden, so ist es, nicht wahr?«
    »Was willst du hören?«
    »Erzähle von zu Hause. Du hast gesagt, dein Vater ist geizig. Sind die Mahlzeiten karg an eurem Tisch?«
    Sie schwieg und sah ihn an.
    »Los schon! Erzähle.«
    »Wir essen reichlich. Aber er schimpft dabei, obwohl er kräftig zulangt. Mutter hat gestern Pflaumen eingekocht, und dann hat sie etwas Pflaumenmus auf das Brot gestrichen, es war noch warm! Vater hat es genauso geschmeckt wie mir und meinen Geschwistern, aber er hat mit Mutter geschimpft. Heute gekocht, heute gegessen, hat er gesagt, und was machen wir im Winter?«
    »War es denn eine gute Ernte?«
    »Das weißt du doch alles.« Von ihrer Stimme tropften Tränen.
    »Erzähle es trotzdem.«
    »Wir hatten keinen Frost im Frühjahr, also gab es viele Blüten. Pilzkrankheiten hatten wir auch wenig diesmal und Sonne und Regen in gutem Maß. Es ist eine reiche Ernte.«
    »Die Äste brechen, nicht wahr?«
    »Sie tragen soviel Obst, daß das Gewicht sie zu Boden zieht.« May sah ihn an, als hätte sie den wichtigsten Satz der Welt gesagt. Und er verstand. Er wußte, daß sie anderes sagen |109| wollte. Das Belanglose sprachen sie nur, um ihre Stimmen hören zu können und dabei noch nicht von Abschied reden zu müssen.
    »Stützt ihr sie ab, die Äste?«
    »Manche haben wir abgestützt.«
    »Seltsam, wie man sich als Kind sein Leben vorstellt, nicht wahr? Obst. Braten. Ale.«
    »Hattet ihr einen Garten?«
    Alan verneinte. »Aber ich habe Kirschen gestohlen. Ich bin auf fremde Bäume geklettert und habe mir den Mund vollgestopft. Unten stand schon der Besitzer, und ich habe noch weiter in seinem Baum gewildert. Seine Weidenrute hat mir keine Angst gemacht. Weit weg war die Prügel, während ich den Mund voller Kirschen hatte. Einmal mußt du herunterkommen, hat er geschrien. Aber daran war nicht zu denken, so nah am Himmel inmitten der roten Früchte.« Er sah hinab in Mays Gesicht und redete und hörte sich selbst nicht zu. »Als ich klein war, habe ich mit den Freunden davon geträumt, nach Frankreich überzusetzen und Heldentaten zu vollbringen. Jeden Tag haben wir unsere Holzschwerter aufeinanderknallen lassen, haben uns gegenseitig Lord genannt und unseren Schlachtruf geübt. Dann starb der Vater, und meine Schwester und ich mußten auf die Felder. Wir haben vergessene Ähren gesucht. Schließlich hat die Mutter den Verstand verloren, und wir sind bei Verwandten untergekommen. Die Tante hat uns geschlagen, der Onkel hat uns auf dem Schoß sitzen lassen und uns Geschichten erzählt.«
    »Ich weiß, Alan.«
    Er wies auf das Feld. »Ich habe von einem Acker geträumt. Von einem eigenen Haus. Und von dir.«
    »Aber du kanntest mich noch gar nicht.«
    »Doch. Ich wußte, daß es dich geben muß. Irgendwo mußtest du sein, und ich wollte dich suchen und habe gehofft, du würdest auf mich warten.«
    Es schien ihr weh zu tun. Sie wandte das Gesicht ab. »Alan, ich kann das nicht. Meine Kraft reicht nicht aus.«
    |110| »Was meinst du?«
    »Dieser Abschied –«
    »Es ist kein Abschied. Ich habe mich entschieden zu bleiben.« Er erschrak. Wann hatte er diesen Entschluß gefaßt? Es war, als spräche ein Fremder aus seinem Mund. Ein Fremder, für den er Bewunderung empfand.
    »Alan!«
    »Sie sollen kommen.«
    May neigte den Kopf zur Seite. Sie runzelte die Stirn, als habe sie sich verhört.
    »Ich werde diesen Acker nicht aufgeben. Vierzig Schillinge habe ich bezahlt.«
    »Du kannst gegen Nevill nicht ankommen. Willst du dir im Wald einen Stecken schneiden und damit gegen Schwerter ankämpfen?«
    »Nein. Ich sage dir, was ich tun

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