Die Brillenmacherin
Die Freunde, die sich auf ihn verlassen wollten, schadeten ihm. Sie verführten ihn. Ohne daß sie es wollten, machten sie ihn zu ihresgleichen.
Aber die Erkenntnis kam zu spät. Anne hatte sich so sehr in Thomas verliebt, daß sie mitunter meinte, sie stecke in ihm, sie trage sein Gesicht, sie spreche mit seiner Stimme. Anne war ganz Thomas geworden, und es schmerzte sie, wenn sie ihn für einen Kriegszug entbehren mußte, so sehr, als gehe ein Teil von ihr fort.
Sie konnte ihn nicht aufgeben. Sie mußte ihn retten.
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Ein Stumpf war vom Haus geblieben. Ein schwarzer, fauler Zahn. Ringsum bedeckte Asche das Feld. Der Wind wehte sie auf und trug sie über den Acker.
Alan stand am Feldrand und vermochte nicht weiterzugehen. Er war zuversichtlich gewesen auf dem Heimweg, nachdem am Morgen ein vollkommenes Spinnennetz im Fenster geglänzt hatte. Er hatte sich Kraft eingeredet, hatte der Reiter Nevills gedacht und sich vorgenommen, ihre Pläne zu durchkreuzen, indem er sich nicht niederdrücken ließ, indem er kämpfte und noch härter als zuvor arbeitete.
Aber aus irgendeinem Grund hatte in seiner Vorstellung das Haus noch gestanden.
Nicht, daß er vergessen hatte, daß es angezündet worden war. Er war davon ausgegangen, daß er Reparaturen würde vornehmen müssen und daß die Saat und die Werkzeuge vernichtet waren. Und doch: Es stand am Feld, es wartete auf ihn, so hatte er gedacht.
Nun war da nicht mehr als ein Stück Erde und ein rauchender, dunkler Haufen Trümmer. Was sollte er damit anfangen?
Von der Ruine ausgehend, verlief eine kniehohe Mauer entlang des Wegs zum Dorf. Er hatte sie aus Steinen errichtet, die er aufgelesen und an den Rand des Ackers geschleppt hatte. Nie hatte es ein Ende genommen mit den Steinen. Sie wuchsen nach, als hätte sie jemand ausgesät auf dem Feld. Feine Sandkörner, die in der Erde zu Kieseln wurden und schließlich die Größe von Felsbrocken erreichten. Mit ihren Glatzen stießen sie durch die Schollen und stemmten sich dem Pflug entgegen.
Dies war seine Heimat gewesen. Das Haus hatte ihm bei Kälte und Dunkelheit Obdach geboten, und der Acker hatte |104| ihn ernährt. Die kniehohen Strohstoppeln zeugten von seiner Arbeit. Er hatte die Sense geschärft und sie mit kraftvollen Schwüngen durch die Halme geführt. Den Waldrand kannte er, und den Weg ins Dorf kannte er. Er wußte, wo sich an der Mauer Ameisen tummelten, er wußte, wo es im Wald ein Hornissennest gab und wo ein Specht in den Abendstunden dicke Larven aus dem Holz zog. Er kannte die Pilze und ihre Plätze, und wenn der Oktoberregen vorüber war, ging er sie sammeln. Er kannte einen wilden Himbeerstrauch. Er wußte, wo der Fuchs seinen Bau hatte und wo die Hasen sich vor ihm verbargen, tief ins Gras geduckt.
Der Wind streute Asche. Auch auf Alans Schuhe blies er sie. Wie gut, daß er die Schuhe trug. Sie wären sonst mit allem anderen verbrannt.
An die Mutter mußte er denken. Er war neun Jahre alt gewesen, als sie den Verstand verlor. »Siehst du nicht den Mann?« hatte sie gerufen. »Siehst du nicht, was er tut?« Auf den Schrank wies sie hinauf.
»Mutter, dort ist nichts.«
»Jetzt schneidet er mir Grimassen.«
»Wer? Da ist niemand.«
»Er hockt dort oben und lacht mich aus.«
Alan stemmte die Fäuste in die Hüften und lachte. Es war ein verzweifeltes, hohles Lachen. Er lachte das Feld aus, die Ruine, den Wald. Er war der Mann auf dem Schrank, den niemand mehr sah bis auf die Verrückten, er konnte Grimassen schneiden und brüllen und auf der Stelle hüpfen, es kümmerte niemanden.
May tauchte hinter der Mauer auf; sie kam vom Dorf gelaufen. Das Kleid flatterte ihr um die Beine. Sie beeilte sich sehr.
Was kümmerte es Alan, ob sie ihn für verrückt hielt? Trotzdem verstummte er. Seit jener Begegnung am Eisloch winkten sie sich immer zu, wenn sie sich erblickten. Diesmal hingen seine Arme bleischwer herab. Er regte sich nicht.
May winkte.
|105| Er wendete den Kopf weg von ihr zum niedergebrannten Haus.
»Alan«, rief sie.
Für ihn klang es, als rufe sie jemand anderen.
Sie erreichte ihn, hängte sich an seinen Arm und schüttelte ihn. »Alan.«
»Sieht es nicht prächtig aus hier? Ein Feuerchen haben sie gemacht mit meinem Haus, es muß eine hübsche Rauchwolke gegeben haben. Wollte niemand löschen kommen aus dem Dorf?«
»Vater hat mir verboten, dich zu sehen.«
»Natürlich. Hast du etwas anderes erwartet?«
Sie schwieg. Tränen rannen ihr über das Gesicht.
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