Die Brillenmacherin
Fenstern mühelos auf das brennende Haus hätten schütten können, gossen sie über die unversehrten Wände, um keinem Funken zu gestatten, sich zwischen den Balken einzunisten.
»Schnell, hier herüber!« rief man.
»Vorsicht, das Dach dort drüben. Mehr Wasser, wir brauchen mehr Wasser!«
»Eine Eimerkette!«
Jeder war in Bewegung. Greise, Kinder. Selbst die Ziege der Nachbarn sprang umher und meckerte verstört. Es stand niemand still, bis auf Catherine. Sie war ungehorsam. Sie gehörte in das Haus, sie mußte doch mit Elias verbrennen. Durfte sie denn übrigbleiben, wenn alles andere verschwand, das ihr Leben ausgemacht hatte? Wer war sie, ohne ihren Mann, ohne den Beruf, den sie als seine Witwe weiter hätte ausüben dürfen? Sie war nicht mehr Catherine Rowe. Irgendeine Frau stand in der Bottle Lane vor dem rußenden, prasselnden Haus. Die Frau besaß ein Kleid und einen gläsernen Fingerring. Ihr fehlten Schuhe, Werkzeug, Elias.
|116| Langsam, wie eine Träumende, schlich sie sich fort. Die Bottle Lane ging sie nichts mehr an. Bald würde ein neues Haus die Lücke füllen, neue Menschen würden dort wohnen. Sie würden das Straßenpflaster bezahlen und den Gewandschneider grüßen, sie würden sich im Hof in einem Bretterverschlag waschen und die Hühner füttern.
Einen Flecken Boden gab es noch in Nottingham, der Heimat war für Catherine. Das Grab von Elias. Dorthin lief sie im Morgengrauen, zu Saint Mary’s. Niemand ging in ihre Richtung, sie kamen ihr alle entgegen und sprachen von Brandstiftung.
In der Pilcher Gate hörte sie das Klicken der Meißel und das derbe Rufen der Handwerkergehilfen. Seit sieben Jahren baute man am Mittelschiff der Kirche. Saint Mary’s besaß weder einen Turm noch ein Fenster. Und auch den Namen hatte das Gotteshaus nur, weil vor zweihundert Jahren auf jenem Hügel die älteste Kirche Nottinghams gestanden hatte, bis sie von Rebellen ausgeplündert und zerstört worden war. Die neue Kirche bestand aus einem steinernen Rumpf. Er wuchs nicht, obwohl Dutzende Männer Tag um Tag daran bauten. Catherine liebte ihn, sie hatte ihn schon geliebt, bevor man Elias daneben bestattete. Er erinnerte sie an die Arche, in der Gott Noah und seine Familie vor den Fluten gerettet hatte.
Sein Leben hat Gott bewahrt, ging es ihr durch den Kopf, und mich verfolgt er. Was hatte sie getan, das ihn erzürnte? Warum schlug er sie? Hatte er ihr Elias genommen, weil sie undankbar geworden war ob des wunderbaren Ehemanns? Sie war ihm ungehorsam gewesen in Braybrooke. Sicher hatte das den Herrn erzürnt. Elias war ein Gottesgeschenk gewesen. Wie hatte sie es vergessen können: Sie, die Besitzlose, das Mädchen aus der Gosse, geheiratet von einem Brillenmachermeister, wie es kaum eine Handvoll in England gab. Anstatt Gott und ihm lebenslang dankbar zu sein, hatte sie ihn hintergangen.
»Ich kann nicht nach Jerusalem pilgern«, murmelte sie. »Wie soll ich deinen Zorn besänftigen, Gott? Ich habe kein Geld, und ich bin schwanger. Laurence würde die Reise sicher |117| nicht überstehen.« Dort, die Kirche. Ein Stachelkleid von Gerüsten hüllte sie ein. Catherine trat neben die Handwerkergehilfen und küßte die Kirchenmauer. »Nimm mich in deine Kirche auf, Herr, laß die Stürme enden.«
Was wagte sie? Sie sprach mit dem Allmächtigen? Sie wollte sich auf den Boden werfen, spürte, daß sie dazu verpflichtet war, daß sie die kalte Erde an der Stirn und an der Brust und an den Knien spüren mußte. Aber sie tat es nicht. Sie stand zitternd und rang die Hände.
»Pater noster, qui es in caelis, sanctificetur nomen tuum.«
Ihre Lippen formten die Silben, die sie seit ihrer Kindheit übte, ohne sie zu verstehen, wie einen wohltuenden Zauber.
»Adveniat regnum tuum. Fiat voluntas tua, sicut in caelo et in terra. Panem nostrum quotidianum da nobis hodie, et dimitte nobis debita nostra sicut et nos dimittimus debitoribus nostris. Et ne nos inducas in tentationem, sed libera nos a malo. Amen.«
Sicher hatte sie Gott und den Heiligen zu wenig Verehrung entgegengebracht. Sonntags war sie zur Messe gegangen. Andere gingen auch am Dienstag und am Donnerstag, manche gingen täglich! Sie beichtete viel zu selten. Und sie ging in die Saint-Nicholas-Kirche gegenüber der Burg, wo man während des Gottesdienstes schwatzte. In Saint Peter folgte man den Gesängen der Priester mit viel mehr Aufmerksamkeit. Warum ging sie zu Saint Nicholas? Wegen der Bilder. Welcher Frevel! Sie fand die Wandbilder
Weitere Kostenlose Bücher