Die Brooklyn-Revue
ein religiöser Fanatiker werden, aber dafür bin ich einfach nicht der Typ. David hat mich zwar die ganze Zeit bearbeitet, aber ich habe nur so getan, als ob ich mitmache. Wenn er an diesen Mist glauben will – bittesehr, mich stört das nicht. Ihn macht das glücklich, und wie käme ich dazu, etwas zu kritisieren, was einen Menschen glücklich macht. Ich habe gehört, was er im Haus zu dir gesagt hat, und das war nicht gelogen. Mit fundamentalistischem Gefasel hat er nichts am Hut. Er glaubt an Jesus und ein Leben nach dem Tod, aber verglichen mit manchem, woran andere Leute glauben, ist das doch gar nichts. Er hat bloß das Problem, dass er sich einbildet, er könnte ein Heiliger werden. Er strebt nach Vollkommenheit …
Okay, ich bin jeden Sonntag mit ihm zur Kirche gegangen. Blieb mir ja wohl nicht viel anderes übrig, oder? Aber auch daran war nicht alles schlimm, jedenfalls nicht, solange wir noch in Philadelphia gelebt haben. Ich habe dort im Chor gesungen, und du weißt ja, wie gern ich singe. Manche von diesen Kirchenliedern mögen zu den bescheuertsten Songs aller Zeiten gehören, aber immerhin konnte ich so einmal die Woche meine Lungen trainieren, und solange David mir mit seinem Jesus nicht allzu schwer auf die Pelle rückte, war ich wirklich nicht besonders unglücklich. Manchmal denke ich, wenn wir nicht aus Philadelphia weggegangen wären, hätte sich das alles noch irgendwie eingerenkt. Aber wir hatten beide Schwierigkeiten, eine anständige Arbeit zu finden. Ich hatte einen Teilzeitjob als Kellnerin in einer schmierigen Imbissbude, und David hat nach monatelanger Suche auch bloß was als Nachtwächter in einem Bürogebäude an der Market Street gefunden. Wir haben regelmäßig die Treffen der Anonymen Drogensüchtigen besucht; wir sind nüchtern geblieben; Lucy hat es auf ihrer Schule gefallen; Davids Mom war ein bisschen verrückt, aber sonst ganz in Ordnung. Nur konnten wir in dieser Stadt einfach nicht genug Geld verdienen. Dann hat sich was in North Carolina ergeben, und David hat sofort zugegriffen. True Value Hardware. Danach ging es uns besser, bis David vorungefähr anderthalb Jahren Reverend Bob kennen gelernt hat, und von da an ist alles den Bach runter …
David hat schon mit sieben seinen Vater verloren. Ich sage nicht, es ist seine Schuld, aber ich denke, er hat sein ganzes Leben lang einen Ersatzvater gesucht. Eine Autorität. Einen, der stark genug war, ihn unter seine Fittiche zu nehmen und durchs Leben zu führen. Das erklärt wahrscheinlich, warum er nach der High School nicht aufs College, sondern zu den Marines gegangen ist. Du weißt schon: Big Daddy Amerika sagt dir, wo’s langgeht, Big Daddy kümmert sich um dich. Und wie Big Daddy sich um ihn gekümmert hat. Hat ihn in die Operation Wüstensturm geschickt und total aus der Bahn geworfen. Das hat ihn zerstört. Danach ging es jahrelang bergab mit ihm, und am Ende war er heroinsüchtig. Aber das weißt du ja schon. Ich habe gehört, wie er dir das vorhin erzählt hat, aber für mich ist das Interessante daran, wie er schließlich davon losgekommen ist. Nicht mit esoterischen Sprüchen von wegen Vertrauen auf eine höhere Macht oder so – sondern mit echter Religiosität. Er geht gleich aufs Ganze und wendet sich an den größten Vater von allen. Gott. Er wendet sich an den gottverdammten Gott, den Herrscher des Universums. Aber auch das reicht ja vielleicht noch nicht. Du kannst mit deinem Gott reden und hoffen, dass er dir zuhört, aber wenn dein Gehirn nicht auf den Vierundzwanzigstundensender Radio Schizophrenia eingestellt ist, wird er dir nie antworten. Du kannst beten, soviel du willst, aber du wirst nie einen Pieps von Dad zu hören bekommen. Du kannst seine Worte in der Bibel lesen, aber die Bibel ist auch nur ein Buch, und Bücher reden nicht. Aber Reverend Bob redet, und wenn du einmal angefangen hast, ihm zuzuhören, weißt du, du hast deinen Mann gefunden. Er ist der Vater, den du gesucht hast, ein echter leibhaftiger Vater aus Fleisch und Blut, und jedesMal, wenn er den Mund aufmacht, bist du überzeugt, dass er seine Sprüche allesamt vom großen Boss persönlich empfängt. Gott spricht durch diesen Mann, und wenn er dir was sagt, solltest du dich besser dran halten, sonst …
Ich schätze, er ist etwas über fünfzig. Groß und dürr, lange Nase. Seine Frau, Darlene, ist eine fette Kuh. Keine Ahnung, wann er den Tempel vom Heiligen Wort gegründet hat, aber jedenfalls ist das keine normale Kirche
Weitere Kostenlose Bücher