Die Brooklyn-Revue
lassen), aber Harry könnte die Bilder im Hinterzimmer seiner Galerie an besonders leidenschaftliche Smith-Sammler verkaufen, und solange Valerie Smith nichts davon mitbekam, würde ihnen der Schwindel einen Profit von hundert Prozent einbringen.
Anfangs sträubte sich Harry. Sicher, Gordons Idee war brillant, aber er schreckte davor zurück – nicht weil er dagegen war, sondern weil er nicht glaubte, dass der Junge das Zeug dazu hatte. Und alles andere als perfekte, absolut einwandfreie Imitate von Smiths Arbeiten würden ihn wahrscheinlich ins Gefängnis bringen. Dryer zuckte die Achseln, als sei das nur so ein flüchtiger Gedanke gewesen, und lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema. Als Harry fünf Tage später mal wieder zu einem seiner nachmittäglichen Besuche ins Atelier kam und Dryer ihm das erste seiner Alec-Smith-Originale enthüllte, musste der Kunsthändler verblüfft zugeben, dass er die Fähigkeiten seines jungen Schützlings weit unterschätzt hatte. Dryer hatte sich tatsächlich zu Smiths Wiedergänger gemausert, hatte seine eigene Persönlichkeit vollständig abgelegt und sich ins Denken und Fühlen eines Toten versetzt. Eine bemerkenswerte Verwandlung, eine psychologische Hexerei, die den armen Harry mit Schrecken und Ehrfurcht erfüllte. Dryer hatte nicht nur Ausdruck und Stimmung der Gemälde Smiths exakt getroffen, die groben Spachtelstriche, den dichten Farbauftrag und die hingeklecksten Spritzer, sondern war sogar noch einen winzigen Schritt weiter gegangen, als Smith sich je vorgewagt hatte. Das war Smiths
nächstes Bild
, erkannte Harry, das Bild, das er am Morgen des zwölften Januar angefangen hätte, wäre er nicht in der Nacht des elften vom Dach seines Hauses in den Tod gesprungen.
In den nächsten sechs Monaten schuf Dryer siebenundzwanzig weitere Gemälde, dazu einige Dutzend Tuschzeichnungen und Kohleskizzen. Dann erst machte sich Harry, der seine Begeisterung zu dämpfen wusste und sich ungewohnt verschlossen gab, systematisch und mit viel Bedacht daran, die Fälschungen bei verschiedenen Sammlern überall auf der Welt an den Mann zu bringen. Nach gut einem Jahr waren zwanzig Bilder für insgesamt fast zwei Millionen Dollar verkauft. Da Harry den Kopf hinhalten musste und sein guter Ruf dabei auf dem Spiel stand, einigten sich die beiden auf eine Aufteilung von siebzig zu dreißig. Als er Tom fünfzehn Jahre später bei dem Essen in Brooklyn sein Geständnis ablegte, schilderte Harry diese Monate als die amüsanteste und grauenvollste Epoche seines Lebens. Er habe ständig in Angst gelebt, sagte er, aber trotz seiner Panik, trotz der Gewissheit, eines Tages erwischt zu werden, sei er glücklich gewesen, so glücklich wie noch nie zuvor. Jedes Mal, wenn es ihm gelungen sei, einen weiteren gefälschten Smith an einen japanischen Manager oder argentinischen Bauunternehmer zu verhökern, habe sein pochendes überanstrengtes Herz siebenundvierzig Freudensprünge gemacht.
Im Frühjahr 1986 verkaufte Valerie Smith das Haus in Oaxaca und zog mit ihren drei Kindern in die Staaten zurück. In ihrer stürmischen Ehe mit dem notorisch untreuen Smith mochte es oft heiß hergegangen sein, aber seine Arbeit hatte sie immer standhaft verteidigt, und natürlich war ihr jedes Bild vertraut, das er seit seiner Jugend bis zu seinem Tod 1984 gemalt hatte. Nach der ersten Ausstellung bei Dunkel Frères hatten sie und ihr Mann sich mit einem Schönheitschirurgen namens Andrew Levitt angefreundet, einem betuchten Sammler, der erstmals 1976 zwei Bilder von Harry erworben hatte und schließlich insgesamt vierzehnSmiths sein Eigen nannte, als Valerie ihn zehn Jahre später zum Essen in seinem Haus in Highland Park besuchte. Wie hätte Harry ahnen können, dass sie nach Chicago zurückziehen würde? Wie hätte er ahnen können, dass Levitt sie in sein Haus einladen würde – derselbe Levitt, dem er gerade erst drei Monate zuvor einen großartigen gefälschten Smith angedreht hatte? Selbstredend machte der reiche Arzt sie voller Stolz auf seine Neuanschaffung an der Wohnzimmerwand aufmerksam, und selbstredend erkannte die scharfsichtige Witwe das Werk sofort als das, was es war. Sie hatte Harry nie gemocht, jedoch Alec zuliebe immer ein Auge zugedrückt, denn auch ihr war klar, dass die Karriere ihres Mannes ohne den Geschäftsleiter von Dunkel Frères niemals eine solche Wende genommen hätte. Jetzt aber war ihr Mann tot, und Harry führte nichts Gutes im Schilde. Erzürnt sann Valerie Denton Smith auf
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