Die Brooklyn-Revue
Stellung seiner oberen Schneidezähne – die mit Lücken dazwischen schräg auswärts standen wie bei einer Kürbislaterne. Was für ein seltsames kugelrundes Männlein, dachte ich, dieser Fatzke mit seinen vollkommen unbehaarten Händen. Allein seine Stimme, ein sanfter, volltönenderBariton, untergrub den Gesamteindruck seiner Geckenhaftigkeit.
Während er weiter ins Telefon sprach, grüßte er Tom mit einer Handbewegung und hob dann einen Zeigefinger, womit er ihm schweigend bedeutete, dass er gleich für uns da sein werde. Worum genau es in dem Telefonat ging, bekam ich nicht mit, da Brightman weniger zu sagen hatte als sein unsichtbarer Gesprächspartner, aber aus dem wenigen schloss ich, dass er mit einem Kunden oder Kollegen über den Verkauf einer Erstausgabe aus dem 19. Jahrhundert verhandelte. Der Titel des Buchs wurde jedoch nicht erwähnt, und bald schweiften meine Gedanken ab. Um nicht untätig herumzustehen, trat ich an die Regale und sah mir die Bücher an. Grob geschätzt standen dort, sehr ordentlich aufgereiht, etwa sieben- bis achthundert Bände, von relativ alten (Dickens und Thackeray) bis zu relativ neuen (Faulkner und Gaddis). Die älteren Bücher waren meist in Leder gebunden, wohingegen die zeitgenössischen über den eigentlichen Schutzumschlägen noch transparente Hüllen trugen. Verglichen mit dem chaotischen Durcheinander des Ladens unten war der erste Stock ein Paradies der Stille und Ordnung, und der Gesamtwert der Sammlung lag sicher im hohen sechsstelligen Bereich. Für jemanden, der noch vor zehn Jahren nichts zu beißen gehabt hatte, war der ehemalige Mr. Dunkel nicht schlecht vorangekommen, wirklich nicht schlecht.
Das Telefonat wurde beendet, und als Tom mich ihm vorstellte, stand Harry Brightman von seinem Schreibtisch auf, gab mir die Hand und ließ seine Kürbislaternenzähne zu einem freundlichen Lächeln aufblitzen: die Herzlichkeit in Person, der Inbegriff von Anstand und guten Manieren.
«Ah», sagte er, «der berühmte Onkel Nat. Tom hat oft von Ihnen gesprochen.»
«Jetzt nur noch Nathan», sagte ich. «Den Onkel haben wir vor ein paar Stunden gestrichen.»
«Nur noch Nathan»,
wiederholte Harry und legte in gespielter Bestürzung die Stirn in Falten, «oder schlicht und einfach
Nathan
? Ich bin ein wenig verwirrt.»
«Nathan», sagte ich. «Nathan Glass.»
Harry legte einen Finger ans Kinn – Pose eines Nachdenkenden. «Wie interessant. Tom Wood und Nathan Glass. Holz und Glas. Wenn ich meinen Namen in Steel ändern würde, könnten wir ein Architekturbüro aufmachen und uns Wood, Glass & Steel nennen. Ha ha. Gefällt mir. Holz, Glas und Stahl.
Sie wollen ein Haus, wir bauen es Ihnen.
»
«Oder ich könnte meinen Namen in Dick ändern», sagte ich, «dann könnten die Leute uns Tom, Dick und Harry nennen.»
«Das Wort
dick
verwendet man in anständiger Gesellschaft nicht», sagte Harry, als sei er tatsächlich schockiert, dass ich dieses Wort verwendet hatte. «Man sagt
männliches Geschlechtsorgan
. Im Notfall ist der neutrale Ausdruck
Penis
akzeptabel. Aber
dick
geht nicht, Nathan. Das ist viel zu vulgär.»
Ich wandte mich an Tom und sagte: «Muss Spaß machen, für einen solchen Mann zu arbeiten.»
«Ja, langweilig wird’s bei ihm nie», antwortete Tom. «Ein Sack voll Flöhe ist gar nichts dagegen.»
Harry grinste und warf Tom einen zärtlichen Blick zu. «Ja, ja», sagte er. «Der Buchhandel ist so amüsant, dass wir ständig Bauchschmerzen vom Lachen haben. Und Sie, Nathan, in welcher Branche arbeiten Sie? Nein, ich ziehe die Frage zurück. Tom hat es mir schon erzählt. Sie verkaufen Lebensversicherungen.»
«Ich
habe
einmal Lebensversicherungen verkauft», sagte ich. «Bin vorzeitig in den Ruhestand gegangen.»
«Noch ein Ex», seufzte Harry wehmütig. «Männer in unserem Alter, Nathan, haben jede Menge Ex aufzuweisen.
N’est-ce pas?
In meinem Fall könnte ich sicher ein Dutzend oder mehr aufzählen. Exmann. Exkunsthändler. Exmatrose. Exschaufensterdekorateur. Exparfümverkäufer. Exmillionär. Exbewohner von Buffalo. Exbewohner von Chicago. Exsträfling. Ja, ja, Sie haben recht gehört. Exsträfling. Auch ich habe, wie die meisten, meine dunklen Flecken. Ich habe keine Schwierigkeiten, das zuzugeben. Tom weiß alles über meine Vergangenheit, und was Tom weiß, sollen Sie auch wissen. Tom gehört für mich zur Familie, und da Sie mit Tom verwandt sind, gehören Sie für mich auch zur Familie. Sie, der Exonkel Nat, jetzt bekannt als
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