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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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gerichtet sein mochte, oder lenkte vielleicht gar mit einem leisen Lächeln oder einer Schulterbewegung den Blick eines anderen auf sich selbst. Männer oder Frauen, mir war beides recht. Ich war damals noch Jungfrau, kannte mich aber schon gut genug, um zu wissen, dass es mir gleichgültig war. Einmal setzte sich Cary Grant in der Pianobar neben mich und langte mir ans Bein. Ein andermal kam die tote Jean Harlow aus ihrem Grab, und wir liebten uns leidenschaftlich in Zimmer 427.   Es kam aber auch meine Französischlehrerin, Mademoiselle Des Forêts aus Quebec, eine schlanke Frau mit hübschen Beinen, knallrotem Lippenstift und feuchten braunen Augen. Und nicht zu vergessen Hank Miller, unser Quarterback und größter Frauenheld unter den älteren Studenten. Hank hätte mich wahrscheinlich totgeschlagen, wenn er erfahren hätte, was ich in meinen Träumen mit ihm machte, aber natürlich hat er es nie erfahren. Ich war damals noch neu an der Uni, und bei hellem Tageslicht hätte ich nie den Mut gehabt, eine so erhabene Gestalt wie Hank Miller anzusprechen, aber nachts traf ich ihn in der Bar des Hotels Existenz, und nach ein paar Drinks und einigem freundlichen Smalltalk führte ich ihn nach oben auf Zimmer 301 und machte ihn mit den Geheimnissen der Welt bekannt.
    TOM: Pubertäre Wichsvorlagen.
    HARRY: So könnte man sagen. Ich sehe es freilich lieber als Produkt eines reichen Innenlebens.
    TOM: Das führt uns nirgendwohin.
    HARRY: Wohin möchtest du uns denn führen, mein Lieber? Wir sitzen hier und warten auf den nächsten Gang, trinken einen vorzüglichen Sancerre und unterhalten uns mit sinnlosen Geschichten. Daran ist doch nichts Falsches. In den meisten Gegenden der Welt gilt so etwas als Gipfel zivilisierten Verhaltens.
    NATHAN: Der Junge ist deprimiert, Harry. Er will reden.
    HARRY: Das sehe ich selbst. Ich habe doch Augen im Kopf, oder? Wenn Tom mein Hotel Existenz nicht gutheißen kann, sollte er uns vielleicht etwas von seinem erzählen. Jeder Mensch hat eins. Und so, wie keine zwei Menschen einander gleich sind, ist auch jedes Hotel Existenz von allen anderen verschieden.
    TOM: Tut mir Leid. Ich will euch nicht langweilen. Das sollte ein lustiger Abend werden, und jetzt bin ich der Spielverderber.
    NATHAN: Vergiss es. Beantworte einfach Harrys Frage.
    TOM
(er schweigt lange; dann, mit leiser Stimme, als spräche er zu sich selbst)
: Ich möchte mein Leben ändern, das ist alles. Wenn ich schon nicht die Welt verändern kann, dann vielleicht wenigstens mich selbst. Aber ich will das nicht alleine machen. Ich bin auch so schon viel zu allein, und ob das meine Schuld ist oder nicht: Nathan hat Recht. Ich bin deprimiert. Seit wir neulich über Aurora gesprochen haben, habe ich immerzu an sie denken müssen. Sie fehlt mir. Meine Mutter fehlt mir. Mir fehlen alle, die ich verloren habe. Manchmal bin ich so traurig, dass ich es nicht fassen kann, warum ich unter der Last, die mich niederdrückt, nicht einfach tot zusammenbreche. Wie mein Hotel Existenz aussieht, Harry? Ich weiß es nicht,aber vielleicht geht es in meinem darum, mit anderen zu leben, aus diesem Rattenloch von einer Stadt fortzukommen und mein Leben mit Menschen zu verbringen, die ich liebe und achte.
    HARRY: Eine Kommune.
    TOM: Nein, keine Kommune – eine Gemeinschaft. Das ist ein Unterschied.
    HARRY: Und wo soll dein kleines Utopia zu finden sein?
    TOM: Irgendwo auf dem Land, nehme ich an. Ein Anwesen mit großen Ländereien und genug Gebäuden für alle, die dort leben wollen.
    NATHAN: An wie viele Leute denkst du da so?
    TOM: Keine Ahnung. Ich habe doch noch nichts konkret geplant. Aber ihr beide wärt mir mehr als willkommen.
    HARRY: Ich fühle mich geschmeichelt, dass ich bei euch so gut angeschrieben bin. Aber was soll aus meinem Geschäft werden, wenn ich aufs Land ziehe?
    TOM: Das zieht mit. Du machst ja auch jetzt schon neunzig Prozent deines Umsatzes durch die Post. Ist es nicht gleichgültig, zu welchem Postamt du gehst? Ja, Harry, natürlich möchte ich, dass du mitmachst. Und Flora vielleicht auch.
    HARRY: Meine geliebte, geisteskranke Flora. Aber wenn du sie mitnimmst, müsste auch Bette eingeladen werden. Sie ist ziemlich krank. Mit Parkinson an den Rollstuhl gefesselt, die Ärmste. Ich kann nicht sagen, wie sie reagieren würde, aber am Ende sagt ihr die Idee womöglich zu. Und schließlich noch Rufus.
    NATHAN: Wer ist Rufus?
    HARRY: Der junge Mann, der im Buchladen hinter der Kasse sitzt. Der große hellhäutige Jamaikaner

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