Die Brooklyn-Revue
mit der rosa Boa. Ich habe ihn vor ein paar Jahren vor einem Haus im West Village entdeckt, da stand er und heulte wie einSchlosshund, und ich habe ihn nach Hause mitgenommen. Inzwischen habe ich ihn praktisch adoptiert. Der Job im Buchladen hilft ihm, seine Miete zu zahlen, aber er ist auch einer der besten Transvestiten der Stadt. An den Wochenenden arbeitet er unter dem Namen Tina Hott. Er ist fabelhaft, Nathan. Du solltest dir seine Show mal ansehen.
NATHAN: Warum sollte er die Stadt verlassen wollen?
HARRY: Zunächst einmal, weil er mich liebt. Und weil er HIV-positiv ist und in schrecklichen Ängsten lebt. Ein Tapetenwechsel könnte ihm gut tun.
NATHAN: Schön. Aber wie sollen wir das Geld auftreiben, um uns ein Anwesen auf dem Land zu kaufen? Ich könnte schon etwas beisteuern, aber längst nicht genug.
TOM: Wenn Bette mitkommen will, lässt sie vielleicht was springen.
HARRY: Ausgeschlossen. Ein Mann hat seinen Stolz, Sir, und ich würde lieber zehnmal hintereinander abkratzen, ehe ich diese Frau noch um einen einzigen Penny bitte.
TOM: Angenommen, du verkaufst dein Haus in Brooklyn; das bringt doch wohl genug.
HARRY: Ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn ich meine letzten Jahre schon in der Pampa verbringe, dann aber bitte in großem Stil. Primitiv wie ein Bauer will ich nicht leben, Tom. Entweder ich werde zum Gutsherrn, oder ich steige aus.
TOM: Also ein bisschen hier und ein bisschen da. Wir überlegen uns, wer sonst noch mitmachen könnte, und wenn wir unsere Mittel zusammenlegen, kriegen wir’s vielleicht hin.
HARRY: Keine Sorge, Leute. Onkel Harry wird sich um alles kümmern. Hofft er jedenfalls. Wenn alles nach Plan verläuft, können wir in naher Zukunft mit einer ordentlichenGeldspritze rechnen. Genug, dass wir unseren Traum wahr machen können. Davon reden wir doch, oder? Von einem Traum, einem wilden Traum, uns von den Sorgen und Kümmernissen dieser elenden Welt zu verabschieden und uns eine eigene zu erschaffen. Ein sehr riskantes Unternehmen, ja, aber wer weiß, ob es uns nicht doch gelingt?
TOM: Und wo soll diese «Geldspritze» herkommen?
HARRY: Sagen wir einfach, ich habe was Geschäftliches am Laufen, und warten erst einmal ab. Wenn ich meine Schäfchen im Trockenen habe, ist das neue Hotel Existenz gesichert. Wenn nicht, bin ich wenigstens mit fliegenden Fahnen untergegangen. Mehr kann man von einem Mann nicht erwarten, oder? Ich bin sechsundsechzig Jahre alt, und nach dem ganzen Auf und Ab meiner … meiner etwas dubiosen Karriere ist das wahrscheinlich meine letzte Chance, einen dicken Batzen Geld an Land zu ziehen. Und wenn ich sage, einen dicken Batzen, dann meine ich einen sehr dicken Batzen. Mehr, als ihr beide euch überhaupt vorstellen könnt.
ZIGARETTENPAUSE
D amals habe ich nichts von diesem Gerede ernst genommen. Tom war gedrückter Stimmung, mehr nicht, und Harry versuchte bloß, ihn aufzuheitern und aus seinem Trübsinn zu holen, ihm den Rücken zu stärken. Ich muss sagen, es gefiel mir an Harry, wie er auf Tom und sein Hirngespinst einging, aber die Vorstellung, dass Harry tatsächlich aus Brooklyn fortgehen und in irgendeinen abgelegenen Landstrich ziehen würde, schien mir vollkommen absurd. Sein Element war die Stadt. Er brauchte Menschen um sich, Handel und Wandel, gute Restaurants und teure Kleidung, und mochte er auch nur halb schwul sein, war doch sein bester Freund ein schwarzer Transvestit, der mit glitzernden Klunkern am Ohr und einer rosa Federboa um den Hals zur Arbeit erschien. Wollte ein Mann wie Harry Brightman sich in ländlichen Gefilden niederlassen, würden die umliegenden Bauern ihn mit Mistgabeln und Messern zum Teufel jagen.
Andererseits war ich mir relativ sicher, dass das von Harry erwähnte geschäftliche Vorhaben nichts Unseriöses war. Der alte Halunke hatte irgendein Eisen im Feuer, und ich brannte vor Neugier, was das wohl sein mochte. Vor Tom hatte er nicht davon reden wollen, aber bei mir würde er ja vielleicht eine Ausnahme machen. Eine Gelegenheit ergab sich, kurz nachdem wir das Dessert bestellt hatten, als Tom sich entschuldigte und in die Bar ging, um eine Zigarette zu rauchen (die neueste Taktik in seinem permanenten Feldzug gegen überzählige Pfunde).
«Ein dicker Batzen», sagte ich zu Harry. «Klingt interessant.»
«Die Chance meines Lebens», sagte er.
«Hat es einen bestimmten Grund, warum du nicht darüber reden willst?»
«Ich möchte Tom nur nicht enttäuschen, das ist alles. Da sind noch ein paar
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