Die Brooklyn-Revue
bei nächster Gelegenheit davon zu erzählen.
Am Montag ging ich als Erstes zur Post und schickte Rachel die Kette, zusammen mit einer kleinen Nachricht
(Ich denke an dich – Alles Liebe, Dad),
aber gegen neun Uhr abends begann ich mir Sorgen zu machen. Meinen Brief an sie hatte ich am Dienstagabend abgeschickt. Angenommen, er hatte seine Reise am frühen Mittwochmorgen angetreten, hätte er bis Samstag bei ihr eintreffen müssen – spätestens am Montag. Meine Tochter war nie eine große Briefschreiberin gewesen (sie kommunizierte hauptsächlich per E-Mail , aber so etwas hatte ich nicht), und daher rechnete ich damit, dass sie anrufen würde. Samstag und Sonntag waren bereits vergangen, ohne dass sie sich gemeldet hatte, also musste ihr Anruf ja wohl am Montag kommen. Irgendwann nach sechs Uhr abends, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam und meinen Brief gelesen hatte. Ganz gleich, wie sehr ich sie gekränkt haben mochte, hielt ich es für unvorstellbar, dass Rachel auf meine Zeilen nicht reagieren könnte. Ich saß in meiner Wohnung und wartete auf das Läuten des Telefons, aber bis neun hatte sich nichts getan. Selbst wenn sie beschlossen hatte, erst nach dem Essen anzurufen, war es jetzt schon reichlich spät. Ein wenig verzweifelt, ein wenig besorgt, mehr als ein wenig verwirrt darüber, wie verzweifelt und besorgt ich war, brachte ich endlich den Mut auf, ihre Nummer zu wählen. Niemand da. Der Anrufbeantworter klickte nach dem vierten Klingeln, aber ich legte noch vor dem Piepton auf.
Dasselbe am Dienstag.
Dasselbe am Mittwoch.
Da mir nichts Besseres einfiel, beschloss ich, Edith anzurufen und sie zu fragen, was da los war. Sie und Rachel hatten regelmäßigen Kontakt, und wenngleich es mich beklommen machte, mit meiner Ex reden zu müssen, bestand doch kein Grund zu der Annahme, dass sie mir eine offene Antwort verweigern würde. Ex ist das Entscheidende, wie Harry es so beredt formuliert hatte. Kontakt zu meiner ehemaligen Gefährtin hatte ich inzwischen nur noch, wenn ich ihre Unterschrift auf den Rückseiten meiner entwerteten Unterhaltszahlungsschecks betrachtete. Im November 1998 hatte sie die Scheidung eingereicht, und einen Monat später, lange bevor das Urteil rechtskräftig wurde, wurde bei mir Krebs diagnostiziert. Zu ihrer Ehre sei gesagt, dass Edith mir erlaubte, so lange wie nötig im Haus zu bleiben, was erklärt, warum wir es erst so spät inseriert haben. Nach dem Verkauf erwarb sie von einem Teil ihres Geldes eine Eigentumswohnung in Bronxville – von der Rachel mir mit ihrer üblichen Vorliebe für anschauliche Ausdrucksweise erzählt hatte, sie sei «sehr nett». Außerdem hatte sie Fortbildungskurse an der Columbia besucht, war mindestens einmal nach Europa gereist und hatte, falls die Gerüchte zutrafen, eine Affäre mit einem alten Freund von uns angefangen, dem Rechtsanwalt Jay Sussman. Seine Frau war zwei Jahre zuvor gestorben, und da er schon immer auf Edith scharf gewesen war (Ehemänner sind darauf geeicht, so etwas zu bemerken), war es nur natürlich, dass er sich an sie heranmachte, sobald ich vom Schauplatz abgetreten war. Der lustige Witwer und die fröhliche Geschiedene. Na, schön für die beiden. Jay ging freilich schon auf die siebzig zu, aber was sollte ich gegen ein Tango-Dinner für zwei oder ein gelegentliches Schäferstündchen einzuwenden haben? Um ganz offen zu sein, ich selbst hätte auch nichts dagegen gehabt.
«Hallo, Edith», sagte ich, als sie sich meldete. «Hier spricht der Geist der vergangenen Weihnacht.»
«Nathan?» Sie schien überrascht, von mir zu hören – und auch ein wenig entrüstet.
«Tut mir Leid, wenn ich störe, aber ich brauche eine Information, und du bist die Einzige, die sie mir geben kann.»
«Das ist jetzt nicht einer deiner schlechten Scherze?»
«Schön wär’s.»
Sie stöhnte laut in den Hörer. «Ich hab zu tun. Also mach schnell, okay?»
«Du hast Gäste, nehme ich an?»
«Nimm an, was du willst. Ich bin dir keine Auskunft schuldig.» Sie stieß ein seltsames, schrilles Lachen aus – ein Lachen, das so bitter war, so triumphierend, so voller schwelender, widerstreitender Gefühle, dass ich es mir kaum zu deuten wusste. Das Lachen einer befreiten Exfrau vielleicht. Das letzte Lachen.
«Nein, natürlich nicht. Du kannst tun, was du willst. Ich bitte dich nur um eine Information.»
«Worum geht es?»
«Um Rachel. Ich versuche seit Montag, sie zu erreichen, aber sie ist anscheinend nicht zu Hause. Ich möchte mich
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