Die Brooklyn-Revue
zwanzigjährigen Internetmillionäre.Den Golf-Sender im Fernsehen. Den Fick-Sender. Den Kotz-Sender. Den Sieg des Kapitalismus, dem sich nichts mehr entgegenstellt. Und wir sind alle so clever, so selbstzufrieden, während die halbe Welt verhungert und wir absolut nichts dagegen tun. Ich kann das nicht mehr ertragen, meine Herren. Ich will da raus.
HARRY: Raus? Und wo willst du hin? Zum Jupiter? Pluto? Auf einen Asteroiden in der nächsten Galaxis? Tom so ganz allein wie der Kleine Prinz auf diesem Stein mitten im Weltraum.
TOM: Sag du mir, wo ich hingehen soll, Harry. Ich bin für jeden Vorschlag offen.
NATHAN: Du suchst einen Ort, wo du zu deinen eigenen Bedingungen leben kannst, richtig? Die «Imaginären Paradiese», wieder einmal. Aber um das zu tun, musst du bereit sein, auf jede Gesellschaft zu verzichten. Das hast du selbst gesagt. Es ist lange her, aber ich glaube, du hast auch das Wort
Mut
benutzt. Hast du den Mut dazu, Tom? Hat irgendeiner von uns den Mut, das zu tun?
TOM: Du erinnerst dich noch an diesen alten Aufsatz?
NATHAN: Der hat mich sehr beeindruckt.
TOM: Damals hatte ich gerade zu studieren angefangen. Ich wusste nicht viel, war aber vermutlich klüger, als ich jetzt bin.
HARRY: Worum geht es?
NATHAN: Das innere Exil, Harry. Um den Ort, an den ein Mann sich zurückzieht, wenn ihm das Leben in der wirklichen Welt nicht mehr möglich ist.
HARRY: Oh. So was hatte ich auch mal. Hat das nicht jeder?
TOM: Nicht unbedingt. Man braucht viel Phantasie, und wie viele Leute haben das schon?
HARRY
(schließt die Augen; drückt sich die Zeigefinger an die
Schläfen)
: Mir fällt jetzt alles wieder ein. Das Hotel Existenz. Ich war damals erst zehn, aber ich erinnere mich noch genau an den Moment, als mir die Idee dazu kam, den Moment, als ich den Namen fand. Es war an einem Sonntagnachmittag im Krieg. Das Radio lief, ich saß im Wohnzimmer unseres Hauses in Buffalo und sah mir im
Life Magazine
Bilder von amerikanischen Soldaten in Frankreich an. Ich war noch nie in einem Hotel gewesen, aber ich war auf den Gängen in die Stadt mit meiner Mutter an so vielen vorbeigekommen, dass ich wusste, das sind besondere Häuser, Festungen, die einen vor dem Elend und der Gemeinheit des Alltagslebens beschützen. Ich mochte die Männer in den blauen Uniformen, die vor dem Remington Arms standen. Ich mochte die glänzenden Messingbeschläge an den Drehtüren des Excelsior. Ich mochte den gewaltigen Kronleuchter im Foyer des Ritz. Der einzige Zweck eines Hotels bestand darin, es einem behaglich zu machen, und sobald man sich eingetragen hatte und zu seinem Zimmer ging, brauchte man nur noch um etwas zu bitten, und schon wurde es einem gewährt. Ein Hotel war die Verheißung einer besseren Welt, ein Ort, der mehr war als nur ein Ort: eine Gelegenheit, eine Chance, in seinen Träumen zu leben.
NATHAN: Das erklärt die Sache mit dem Hotel. Wo bist du auf das Wort
Existenz
gestoßen?
HARRY: Das habe ich an jenem Sonntagnachmittag im Radio gehört. Ich hörte zwar nur mit halbem Ohr zu, aber da sprach jemand von der
menschlichen Existenz
, und der Klang dieses Worts hat mir gefallen.
Die Gesetze der Existenz
, sagte die Stimme,
und die Gefahren, denen wir uns im Lauf unserer Existenz stellen müssen
. Existenz war größer als bloß Leben. Sie umschloss das Leben aller Menschenauf Erden, und selbst wenn man in Buffalo, New York, lebte und noch nie weiter als zehn Meilen von zu Hause weg gewesen war, war man selbst auch ein Teil dieses Puzzles. Es spielte keine Rolle, wie klein das eigene Leben war. Was einem selbst passierte, war so wichtig wie das, was allen anderen passierte.
TOM: Ich kann dir immer noch nicht folgen. Du erfindest einen Ort, das Hotel Existenz, aber wo ist das? Und wozu dient es?
HARRY: Wozu? Eigentlich zu nichts. Es war ein Rückzugsort, eine Welt, die ich im Kopf besuchen konnte. Davon reden wir doch, oder? Wir reden von Flucht.
NATHAN: Und wohin ist der zehnjährige Harry geflohen?
HARRY: Ah. Das ist eine schwierige Frage. Von diesem Hotel Existenz gab es nämlich zwei. Das erste, das ich an diesem Sonntagnachmittag während des Kriegs erfunden habe, und dann ein zweites, das erst aufkam, als ich auf der High School war. Nummer eins war der reine Kitsch, sentimentaler Kinderkram. Aber damals war ich ja auch noch wirklich klein, und an allen Ecken und Enden war immer nur vom Krieg die Rede. Zum Kämpfen war ich noch viel zu jung, aber wie die meisten dicken, dummen kleinen Jungen träumte ich
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